Die Mumien sind schon erwacht, wie lang will die Terrakotta-Armee noch schlafen – die ägyptische Revolution als Vorbild?

Die Mumien sind schon erwacht, wie lang will die Terrakotta-Armee noch schlafen – die ägyptische Revolution als Vorbild?

Der Sturz des Mubarak-Regimes durch den Volksaufstand in Ägypten wurde
weltweit aufmerksam verfolgt. Oft wurden auch in der VR China ähnliche Entwicklungen vorhergesagt, wobei das Staatsgefüge dort eine deutlich höhere Stabilität aufweist. Dennoch lässt sich in Beijing ein Anstieg von Nervosität erkennen, da Chinesen inner- und außerhalb Chinas, insbesondere Regimekritiker, aus den Ereignissen im Nahen Osten ihre eigenen Schlüsse ziehen. Ein Beispiel ist Zhangwen. Der Journalist und Blogger ist von den Entwicklungen stark inspiriert und erhofft sich ähnliche, wenn auch friedvollere Veränderungen in China. Eine Übersetzung von Daniel Soesanto und Ella Daschkey.

In der Hauptstadt hat es eine Nacht geschneit und überall ist Schnee.
Ich war einige Tag erkältet und habe mich nicht blicken lassen, als ich gerade herunterhing und eine Runde um das Haus drehte (nennen wir es einen fröhlichen Tag). Dies war ein lange nicht da gewesener Wintertag, das ursprünglich vertraute Umfeld schien sich in eine [neue] Welt verwandelt zu haben, alles erschien neuartig!
Ich dachte daran, dass das weit entfernte Ägypten nach 30 Jahren gerade eine turbulente Situation durchläuft, die unweigerlich auch andere Völker etwas Neuartiges spüren lässt! Mehr als das, die ganze Welt spürt etwas Neuartiges!

Das ägyptische Volk gibt uns einen Denkanstoß

Ich stimme Obamas Redeweise zu: Wir erleben gerade Geschichte. Auch mit seiner folgenden Aussage identifiziere ich mich: Dies ist die Kraft der Menschenwürde, und diese Würde kann man ihnen nicht nehmen. Das ägyptische Volk gibt uns einen Denkanstoß und Inspiration. Ihre Bewegung demonstriert, dass die Erlangung sozialer Gerechtigkeit nicht unbedingt mit Gewalt herbeigeführt werden muss. In Ägypten war es eine gewaltlose, moralische Macht – nicht Extremismus, nicht die Abschlachtung Unschuldiger, sondern gewaltlose und moralische Macht – die den Lauf der Geschichte wieder in Richtung Gerechtigkeit gelenkt hat. Obwohl diejenigen, die wir sehen, Ägypter sind und es ihre Stimmen sind, so hallt das historische Echo in unseren Ohren: es ist das Echo der Deutschen, die die Berliner Mauer stürzen; es ist das Echo der indonesischen Studenten, die auf den Straßen marschieren; es ist das Echo Gandhis, der das Volk auf der Straße der Gerechtigkeit führt.
Im Kampf zur Reformierung seines Vaterlandes Ghana sagte Martin Luther King bei der Feier zur Gründung des neuen Staates: „Es gibt etwas in der Seele, das nach Freiheit schreit.“ * Was vom Tahrir-Platz ausging, war genau dieser Ruf, der in die ganze Welt schallte. Dies erinnert mich auch an das allgemein beliebte, weit bekannte Gedicht:

Für meine Liebe könnt‘ ich das Leben,
doch für die Freiheit die Liebe selbst geben. **

Die Welt hat sich im Internetzeitalter wirklich gewandelt. Durch den freien Fluss von Nachrichten und die Unabhängigkeit von räumlicher Entfernung ist die weitere Stützung auf Täuschung und Vertuschung nicht mehr möglich, das Volk wacht allmählich auf und hat zunehmend Eigeninitiative sowie Selbstbewusstsein. Die „unwissenden Massen“ werden bald der Vergangenheit angehören. Und was die Regierenden angeht: unabhängig davon, was du früher für das Land und die Nation an großartigen Verdiensten geleistet hast und egal was für einen Masterplan du zum Regieren des Landes hast, wenn du nur konservierst und nicht innovierst, die Volksmassen nach wie vor als Werkzeug betrachtest, sie benutzt, sie davonjagst und sogar versklavst, und immer noch konservativ und autokratisch [herrschst], dann hinkst du bereits dem jetzigen Zeitalter und den Erwartungen des Volks dir gegenüber hinterher (so wie der jetzt zurückgetretene Mubarak). Die erwachenden Volksmassen und die sturen Regierenden können unmöglich lange koexistieren. Der Tag, an dem du aus deinem Amt gedrängt wirst, ist dann auch nicht mehr weit.

Der Staat gehört dem Volk

Das von den Ereignissen in Ägypten ausgehende Gefühl der Neuartigkeit ist weiter da, es sagt der Welt: der Staatsapparat gehört dem Staat, und der Staat gehört dem Volk. Daher muss sich der Staatsapparat der Stimme des Volks fügen und darf sich absolut nicht gegen das Volk richten. Dieser selbstverständliche Gemeinsinn einer demokratischen Gesellschaft wurde bis heute in einigen autokratisch-diktatorischen Staaten noch nicht bestätigt. In diesen Staaten werden die Polizei, das Militär und andere Staatsinstrumente noch oft vom Regime zur Repression von Opposition und Protesten des Volks genutzt. Dieses Mal hat sich das ägyptische Militär dem Ruf des Volks gebeugt und stand auf der historisch richtigen Seite. Die Bedeutung dieser Handlung ist weitreichend. Sie verdeutlicht, dass auch das Militär anderer derartiger Staaten bei solchen historischen Schlüsselmomenten [auf der richtigen Seite stehen] und nicht den Diktatoren als Komplize dienen sollte.
Ich wage vorherzusagen, dass, falls sich die Umstände von vor 20 Jahren [in China] wiederholen, kein politischer Machthaber es wagen würde den Feuerbefehl zu geben und auch das Militär nicht leichtfertig den Befehlen gehorchen würde. Wer auch immer diesen Feuerbefehl gäbe, das Militär würde sich gegen ihn wenden und die Rechnung begleichen!
Natürlich sehne ich ein solches Szenario nicht herbei, denn sollten wir schließlich eine chaotische Situation durchlaufen, so wäre dies unvorteilhaft für das Land und Volk. Ich hoffe dennoch, dass das [chinesische] Regime aus den Ereignissen in Ägypten und aus Mubaraks Beispiel eine profunde Einsicht zieht. Dies ist nicht die Zeit Löcher zu stopfen und den Wandel zu verzögern, sondern weise zu erkennen, dass die Vergangenheit nicht mit der Gegenwart verglichen werden kann und man auf die Rufe des Volks hören sowie die Erwartungen erfüllen sollte. Davon ausgehend sollte man sich an den Zug der Zeit binden und gemeinsam mit der Zeit voranschreiten.

Die Initiative für Veränderung liegt in meinen Händen

Der einstmalige Gegner, die Kuomintang, und der einstmalige Bruder, die KP Vietnams, haben dies vor 20 Jahren getan und als Ergebnis (wie der Phönix aus der Asche) neue Lebensenergie ausgestrahlt. Heutzutage muss auch die Militärregierung Myanmars letztendlich zunehmend auf Basis der Verfassung regieren. Dieser ganze Wandel demonstriert: die Initiative für Veränderung ist in meinen Händen, die Passivität gegenüber Veränderung ist in deren Händen.
Um mit den Jahrtausende alten Zivilisationen [zu sprechen]: die [ägyptischen] Mumien sind schon erwacht, wie lang will die [chinesische] Terrakotta-Armee noch fest schlafen?

 

______

* [wörtlich: „There is something in the soul that cries out for freedom.“ Martin Luther King Jr.: Birth of a New Nation, 7. April 1957]

** [Aus „Freiheit und Liebe“, Gedicht von Sándor PetÅ‘fi, ungarischer Dichter und Volksheld der Revolution 1848]

 

Kategorien: China Global. Permalink.

Ist Ihnen dieser Beitrag eine Spende wert?
Dann nutzen Sie die Online-Spende bei der Bank für Sozialwirtschaft oder über PayPal.
Sicher online spenden über das Spendenportal der Bank für Sozialwirtschaft(nur Überweisung über 1 Euro.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.