Lange war Äthiopien für Hungersnot, Dürre und vor allem den blutigen Konflikt mit dem Nachbarland Eritrea bekannt. Dass dort seit einigen Jahren die Wirtschaft blüht, ist an vielen vorbei gegangen. Angesichts hoher Wachstumsraten behaupten ausländische Medien: Äthiopien ist das China Afrikas. Auch chinesische Blogger diskutieren darüber.
Chinas besonderes Interesse an Afrika ist seit Jahren bekannt. Seit der Jahrtausendwende hat sich das Handelsvolumen zwischen dem Reich der Mitte und dem afrikanischen Kontinent von zehn auf über 200 Milliarden US-Dollar mehr als verzwanzigfacht, die chinesischen Direktinvestitionen sowie die Vergabe von Regierungskrediten zu günstigen Bedingungen nehmen zu. Auch Migration wünscht sich die Kommunistische Partei: Es leben inzwischen über eine Million Chinesen in den 55 afrikanischen Staaten, mehr als 10.000 chinesische Firmen sind hier aktiv. Einige dieser Aktivitäten geschehen im Rahmen des Investitionsprogramms „Neue Seidenstraße“ („Belt and Road Initiative“, BRI) der chinesischen Regierung mit einem weltweiten Investitionsvolumen von 900 Milliarden Dollar.
Kleines China in Afrika?
Äthiopien hat in höherem Ausmaß als andere Länder von der Zusammenarbeit mit China profitiert. China hat beispielsweise stark in den Ausbau der Infrastruktur des Landes investiert. Besonderes Gewicht hat dabei die Prestige-trächtige Bahnlinie von Addis Abeba, Hauptstadt des Binnenlandes Äthiopien, zur Hafenstadt Djibouti, die China für 3,4 Milliarden Dollar mitfinanziert hat. Durch den Zugang zum Meer vereinfachen sich Gütertransporte und kurbeln die Wirtschaft an. Mit jährlichen Wachstumsraten von 8 bis 10 % liegt der Vergleich zum „asiatischen Bruderstaat“ für viele ausländische Medien nahe. Einige spekulieren beispielsweise über die starke kulturelle Identität und lange Nationalstaatstradition, die beide Länder gleichermaßen auszeichnet. Aktuell finden sich auch in politischer Hinsicht Ähnlichkeiten. Seit dem Sturz des kommunistischen Militärregimes in 1991 folgt Äthiopien der Devise: so wenig Demokratie wie nötig, so viel Staatskapitalismus wie möglich. Das Bündnis um die äthiopische Regierungspartei Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRFD) erhielt bei den Parlamentswahlen vor sechs Monaten glatte 100 Prozent der Stimmen.
Parallele Entwicklungen?
Das gegenwärtige Engagement Chinas interessiert die chinesischen Internetnutzer und sie äußern sich über verschiedene Aspekte des bilateralen Verhältnisses. Tianya-User „Yunfeng Technologie CEO Zhang Wei 5“ schließt sich der Nachrichtenseite QUARTZ an mit einer eher realistisch-pragmatischen Sicht auf die Lage des Landes am Horn von Afrika:
Tatsächlich sind die Einschätzungen dieses Netizens gar nicht so weit hergeholt. Auch die ehemalige Weltbank-Vizepräsidentin Obiageli Ezekwesili schätzt, dass China immer mehr niedrig bezahlte Arbeitsplätze in Länder wie Äthiopien verlegen wird. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Löhne sich im Land der Mitte in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt haben. So kann ein ungelernter chinesischer Arbeiter mit einem Monatsgehalt von umgerechnet 500 US-Dollar nach Hause gehen, während seine äthiopischen Kollegen sich mit einem Zehntel davon zufrieden geben müssen. Mit seiner zentralen Lage zwischen Asien, Europa und Amerika präsentiert sich Äthiopien nicht nur finanziell, sondern auch geografisch als idealer Standort. Das Land könnte zur nächsten „Fabrikhalle der Welt“ werden.
Win-win?
Ob das chinesische Engagement nun eigennützig ist oder nicht, die Netzbürger diskutieren über alle möglichen Facetten des Umgangs mit dem fernen Land. Dabei kommen sehr diverse Ansichten zum Ausdruck, die ein unterschiedliches Maß an Reflexionstiefe nahelegen. Kolonial anmutende Überlegenheitsgefühle zeigen sich bei User „Feste, lange Leitung“:
Die vermeintliche eigene kulturelle Überlegenheit spricht auch User „zzbbme“ an, der die Arbeitsmoral vor Ort verbesserungswürdig findet:
Noch einen Schritt weiter geht Blogger „Kemo und 2017“. Patriarchalisch geprägt erscheint seine Idee, äthiopische Frauen nach China zu holen. Seiner Meinung nach stellen diese Frauen eine ideale Lösung für Chinas Männerüberschuss dar, der dazu beigetragen hat, dass vor allem Niedrigverdiener sich auf dem Heiratsmarkt sehr schwer tun:
Blogger „Echtes Himmelswolfsschwert“ findet diese Einschätzungen zu kurzsichtig. Er beurteilt die Entwicklungschancen des Landes positiver:
Auch Netizen „Langer Stern- Eigentlich Himmel“ sieht die chinesischen Aktivitäten in Äthiopien allgemein in einem kritischeren Licht und hinterfragt, wie nachhaltig das derzeitige Engagement für das Land sein wird:
Bei beiden Ländern stellt sich die Frage, ob sie ihr sprunghaftes Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren beibehalten können. Aufgrund des Handelsstreits mit den USA lag Chinas Wachstum im Jahr 2017 „nur“ noch bei 6,5 % – was zwar noch nicht wenig ist, aber der niedrigste Stand seit fast 10 Jahren. Äthiopiens Wirtschaft litt 2018 vor allem unter dem Mangel an harter Währung, was die Entwicklung des privaten Sektors lähmt. Bis Äthiopien den gleichen Entwicklungsstand wie das Schwellenland China erreicht hat, wird noch viel Zeit vergehen. Die Entwicklung der Verhältnisse begleiten die chinesischen Netizens jedenfalls aus der Ferne mit ihren persönlichen Ansichten und Beobachtungen.
Zum Weiterlesen:
Portal des Chinaprogramms der Stiftung Asienhaus mit Artikeln zur neuen Seidenstraße