Chinesische Nichtregierungsorganisationen (NRO) sind oft die Einzigen, die das von der Partei vorgegebene Primat des Wirtschaftswachstums in Frage stellen. SAC hat ein Interview mit dem Pesticide Eco Alternatives Center geführt, um zu erfahren, welche Erfolge Lobbyarbeit in China heute erzielen kann.
Chinesische NRO sehen sich ungewissen Zeiten gegenüber. Neue Registrierungsvorschriften für ausländische Finanziers stellen in Frage, in wieweit zukünftig zivilgesellschaftliche Arbeit noch die notwendige finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten wird. Die Vorschriften sollen der Regierung eine engmaschigere Kontrolle ausländischer Geldzuwendungen ermöglichen. Betroffen sind insbesondere NRO, für deren Anliegen sich -noch- nicht ausreichend Mittel im Inland gewinnen lassen. Zu dieser Kategorie gehört auch das 2002 in Kunming gegründete Pesticide Eco Alternatives Center (PEAC). Aufgrund der Größe der eigenen Landwirtschaft hat China enormen Einfluss auf die Produktion und den Einsatz von chemischen Pestiziden. PEAC möchte daher über Pestizid-induzierte Risiken für Mensch und Umwelt aufklären und dazu beitragen, den Einsatz chemischer Pestizide zu verringern. Projekte wie auch die institutionelle Weiterentwicklung der Organisation werden aus unterschiedlichen, darunter auch deutschen Quellen (Brot für die Welt, Misereor) finanziert. Über die praktische Arbeit berichtet PEAC gegenüber SAC:
„Wir haben in den letzten Jahren in mehr als zehn Dörfern in Yunnan Demonstrationsprojekte organisiert. In dieser Zeit wurden wir aufgrund der wachsenden Kenntnisse über Pestizidrisiken von verschiedenen Interessenten dazu eingeladen, Wissen über die Risiken und Anleitungen zur ökologische Schädlings- sowie Krankheitsbekämpfung zu verbreiten und an Workshops teilzunehmen. Auf diesem Wege konnten wir die Projektarbeit provinzweit, aber darüber hinaus auch in andere Provinzen wie Sichuan und Shanxi ausweiten.“
Mehr als eine Dekade Projekterfahrung in ländlichen Gegenden erlauben PEAC Rückschlüsse auf Veränderungen im dörflichen Leben. Die Regierung hat seit 2002 dem ländlichen Raum zunehmend mehr Unterstützung gewährt, so etwa durch die Abschaffung der jahrtausendealten Landwirtschaftssteuer sowie durch Subventionen für Nahrungsmittelproduktion und landwirtschaftliche Geräte. Ein neues System der ruralen Gesundheitsversorgung gab Bauern 2006 erstmals die Möglichkeit, eine Krankenversicherung abzuschließen. Der neu eingeführte kostenfreie Zugang zu Grund- und Mittelschulen verbesserte die Lebensbedingungen außerhalb der Großstädte weiter. In den letzten Jahren wurde schließlich ein Rentensystem für den ländlichen Raum aufgelegt, das die bis dahin ausschließlich im familiären Rahmen erfolgte finanzielle Absicherung des Lebensabends ergänzen soll. PEAC konstatiert:
„Yunnan ist aber nichts desto trotz eine entlegene Provinz in der Grenzregion zu Laos, Myanmar und Vietnam. Hier bleibt die ländliche Entwicklung hinter der in anderen Regionen zurück. Chinaweit liegt die Provinz an zweiter Stelle, was die Zahl armer Menschen angeht. Von den 45 Millionen Einwohnern sind 65% Bauern und 66% der Bauern sind über 60 Jahre alt.“
Weil im Zuge der Urbanisierung vor allem junge Männer auf der Suche nach höherem Einkommen in die Städte drängen, verbleiben in den Dörfern Frauen, Kinder und ältere Menschen. Frauen tragen zunehmend die Hauptlast bei der landwirtschaftlichen Arbeit und in der Versorgung der Alten. Hier stellte PEAC jedoch in den letzten Jahren Ansätze eines gegenläufigen Trends fest:
„Es ist sehr interessant, dass in den entwickelten Gebieten mehr und mehr junge Leute, die in städtischen Zentren gearbeitet haben, in ihre Dörfer zurückkehren und wieder in der Landwirtschaft tätig werden. Normalerweise kehren sie in ihre eigenen Dörfer zurück, gestärkt in ihrer Entscheidung, weil die Regierung ein solches Vorgehen befürwortet und großflächige Landwirtschaft fördert. Sie mieten Felder an und bauen große Farmen auf, die finanzielle Unterstützung von der Regierung erhalten.“
PEAC hat zahlreiche Kampagnen und Trainings organisiert, die den Mangel an Gesundheits- und Umweltbewusstsein auf dem Land adressieren. Konkret hat die Organisation Trainingskurse für Bauern angeboten, Informationsmaterial verbreitet, interprovinzielle Austauschprogramme sowie Filmvorführungen organisiert:
„Ausweislich unserer Auswertungen haben die Projektangebote das Umweltbewusstsein der Teilnehmenden gestärkt. Einige Bauern haben weitergehende Maßnahmen ergriffen, indem sie mit ökologischer Landwirtschaft experimentieren. Sie haben z.B. aufgehört, Getreidestroh zu verbrennen und stellen daraus nun organischen Dünger her.“
Ökologisch nachhaltige Ansätze sind allerdings noch die Ausnahme, wie PEAC berichtet:
„Obwohl mehr und mehr Bauern an den Projektstandorten die Notwendigkeit einer Reduzierung des Pestizideinsatzes einsehen, sind sie noch nicht aktiv geworden, weil sie sich so lange auf Pestizide verlassen haben.“
Trotzdem zeigen die wenigen bereits bestehenden Vorzeigeprojekte Wirkung:
„Nun aber beginnt eine kleine Anzahl von (ökologisch wirtschaftenden) Bauern, Profite aus ökologischer Landwirtschaft zu erzielen. Ihrem Beispiel folgt eine wachsende Anzahl von Nachahmern.“
PEAC legt Wert darauf, städtische Bevölkerung und ländliche Produzenten miteinander in Kontakt zu bringen. Dies geschah mit der Einrichtung eines Biomarktes, aber auch durch den Aufbau von zwei Plattformen zur Verbraucherweiterbildung und durch einen Ökosupermarkt. Regelmäßig wird diese Arbeit von chinesischen Massenmedien aufgegriffen. Die Beiträge in Zeitungen und im Radio erzeugen ein wachsendes Interesse unter städtischen Konsumenten:
„Einige davon nehmen an unseren Öko-Touren teil oder fahren selbst in die Dörfer, um dort Bioprodukte zu kaufen. (…) Alleine dieses Jahr haben Konsumenten uns hunderte von Büchern gespendet, um in einem entlegenen, vor allem von Minderheiten bewohnten Dorf eine Bücherei einzurichten. Diese Fahrten sind ein Weg, den Dialog zwischen Verbrauchern und Produzenten aufzubauen. Die Besucher helfen bei der Farmarbeit oder im Haushalt der Bauern mit, erfahren viel über ihnen unbekannte ethnisch geprägte Bräuche und traditionelles Essen. Sie können auch einkaufen. Wir arrangieren die Öko-Touren je nach Entfernung zum Zielort, Tagestouren von Kunming aus oder zwei- bis dreitägige Reisen in Dörfer, die weiter entfernt von Kunming liegen. PEAC verdient damit kein Geld, aber wir übernehmen auch nicht die Kosten. Personen, die interessiert sind, werden eingeladen und zahlen die Kosten für Transport, Versicherung und Reisebegleitung durch einen PEAC-Mitarbeiter.“
Auch auf Regierungsseite hat sich die Haltung gegenüber dem in der ländlichen Praxis fast immer unkontrollierten und daher unsachgemäßen Einsatz von chemischen Pestiziden geändert. Dies wirkt sich positiv auf die Arbeit von PEAC aus.
„Wir wurden als einzige NRO dazu eingeladen, im Rahmen der jährlich stattfindenden nationalen Woche der Bewusstseinsstärkung Informationen über Pestizidrisiken und ökologische Landwirtschaft zu verbreiten. Wir erhalten eine kleine Beihilfe für den Unterhalt der Regierungswebseite zur öffentlichen Bildung. Unsere Veröffentlichungen wurden allen ländlichen Bibliotheken empfohlen.“
Neben dieser öffentlichen Wertschätzung konnte PEAC erreichen, dass konkrete Vorschläge zum Bann von gefährlichen Pestiziden in politischen Vorgaben Berücksichtigung fanden.
„Aufgrund der Anerkennung durch die Regierung haben wir mehr Gelegenheiten, größere Zielgruppen anzusprechen und die Arbeit erheblich auszuweiten.“
Mit Blick auf die Zukunft können Organisationen wie PEAC nur hoffen, dass die bisher noch geringen finanziellen Zuwendungen von öffentlicher Seite in ausreichendem Maße zunehmen, wenn das befürchtete Ausbleiben internationaler Zuwendungen Realität werden sollte.
Zum Weiterlesen:
David Weyand, Ausländische NGOs und Chinas Zivilgesellschaft unter Druck, Oktober 2016.
Yuan Ren, Young Chinese women are committing suicide at a terrifying rate – here’s why; The Telegraph, 20.10.2016.
Stiftung Asienhaus, Chinas Landwirtschaft / Biologische Landwirtschaft in China / Neue Perspektiven für Chinas Bauern, Bildungspolitische Beiblätter Nr. 6-8 zur Broschüre „Sustainable agriculture in China“ (2016).
Anmerkung der Redaktion: Die Fragen wurden in chinesischer Sprache eingereicht und auf Englisch beantwortet.