„Wir fahr‘n fahr‘n fahr‘n auf der Autobahn“. Aber nicht in China. Weil die deutsche Band Kraftwerk 1998 auf einem „Free Tibet“-Konzert spielen wollte, verbot das chinesische Kulturministerium ihren Auftritt bei einem Pekinger Musikfestival Ende April 2013. Was das für Chinas „Soft Power“ bedeuten und mit Islands Pop-Sirene Björk zu tun haben könnte, darüber diskutieren chinesische Internetnutzer.
Peking schreibt mit
Es wäre Kraftwerks erster Auftritt in der VR China gewesen. Die Geburtshelfer elektronischer Tanzmusik waren auf dem Pekinger „Strawberry Music Festival“ (29.04. bis 01.05.2013) schon eingeplant, als das chinesische Kulturministerium den Veranstaltern Ende März einen Strich durch die Rechnung machte. Die 1970 in Düsseldorf gegründete Band erhielt wohl deswegen kein Visum, weil sie 1998 im Programm eines „Free Tibet“-Konzerts in Washington stand. Aufgetreten ist sie dort nicht, wegen schlechten Wetters. Der Deutschen Presse Agentur sagte ein Mitarbeiter des veranstaltenden Plattenlabels „Modern Sky“, dass das Ministerium keine Gründe genannt habe. Die als öffentlichkeitsscheu geltende Band hat sich bisher nicht geäußert.* Dass der Stolperstein der geplatzte Auftritt vor 15 Jahren gewesen sein könnte, hält auch der in den USA lebende Regimekritiker Li Hongkuan für wahrscheinlich.
(Kraftwerks Konzertzusage von 1998) wurde von ihnen vermerkt, weil die Tibet-Frage relativ heikel ist. Die Kommunistische Partei Chinas ist da sehr empfindlich. Vieles ist bei ihr tabu, wie für eine Trennung Chinas Ethnien oder gegen Partei und Sozialismus zu sein. Sie dokumentiert das für gewöhnlich immer.因为西藏问题比较敏感,是中国共产党的敏感神经,所以被他们记住了。共产党有很多东西是不能碰的,从民族分离、反党、反社会主义之类的。它一般都有记录。
Chinas Damoklesschwert
In Sachen Tibet ist sie seit dem Eklat um Islands Pop-Star Björk noch vorsichtiger. 2008 hatte die Sängerin auf ihrem Shanghai-Konzert während des Stücks „Declare Independence“ „Tibet! Tibet!“ geschrien. Für viele Chinesen war dies ein öffentlicher Aufruf zum Separatismus. Der Vorfall schlug damals hohe Wellen und führte dazu, dass ausländische Künstler vor ihrem Auftritt in China noch gründlicher überprüft werden sollten. Liedtexte sind vorab einzureichen und gegebenenfalls zu ändern; Konzerte werden oft beobachtet. Liz Tung, Musik-Redakteurin bei Time Out Beijing, glaubt aber nicht, dass die Behörden in der Praxis viel Energie auf die Überprüfung im Vorfeld verwendeten. Auch chinesische User vermuten wenig Musikexpertise im Kulturministerium. Sie fragen sich, warum eine so unpolitische Band wie Kraftwerk kein Visum erhielt, aber das umstrittene Punk-Urgestein John Lydon („Sex Pistols“) im März 2013 auftreten durfte.**
An nicht nachvollziehbare Entscheidungen für oder gegen Auftritte sind chinesische Jugendliche gewöhnt, meint Liz Tung.
Sie sind daran gewöhnt, dass Sendungen und Filme zensiert werden, dass Dinge einfach ohne einen dummen Grund im letzten Moment gestrichen werden.They’re used to shows being censored, movies being censored, they’re used to things being pulled at the last minute for stupid reasons.
Das denkt auch die Künstlerin Cecilia Chan. Enttäuscht über das Kraftwerk-Verbot schreibt sie in einem Mikroblog:
Sexuelle Andeutungen, politische Ausrichtung, 60 Jahre VR China… Aus wirklich jedem Grund kann einer Band der Auftritt in China untersagt werden.性暗示、政治倾向、建国60周年...任何理由都可以封杀一个乐队来中国演出的机会。
Diese Unvorhersehbarkeit gebe es nach wie vor, bilanziert der in die USA ausgewanderte Politikwissenschaftler Xie Xuanjun, trotz neuer Freiheiten im chinesischen Kulturbetrieb. Er vergleicht die Situation so:
Gibt es nicht diesen griechischen Mythos vom Damoklesschwert, das über den Köpfen der Menschen hängt? Jederzeit kann es heruntersausen und Köpfe abschlagen. Die Macht Chinas Regierung ähnelt diesem Schwert.不是有一个希腊神话吗,说有一个达姆克里斯剑,悬在人们的头上。它随时可以掉下来把人的头砍下来。中国政府的权力就像这把剑。
„Terry303“ wundert sich auf Sina Weibo, dass dieses auch nach langer Zeit noch so scharf ist und fragt nach der Verhältnismäßigkeit.
Es war zwar zu erwarten, aber muss man sich wirklich wegen einer 15 Jahre alten Kleinigkeit so rächen?虽然意料之中,但十五年前的旧账真有必要睚眦必报么?
Und wie eine solche Kulturpolitik Chinas in der Welt wahrgenommen wird, darüber sorgt sich „Terry303“ auch. Li Hongkuan hat darauf eine Antwort und wirft einen Begriff ins Feld, der für Chinas Außenpolitik immer wichtiger wird: „Soft Power“.***
Aber Freunde kann China so unmöglich gewinnen. „Soft Power“ heißt im Kern, die Anerkennung der Menschen (für die Leistungen) des Landes zu erhalten, so dass sie sich wirklich mit dir identifizieren. Für Chinas Bemühungen um den weltweiten Ausbau seiner „Soft Power“ ist diese Verfahrensweise (im Fall Kraftwerks) kontraproduktiv.但是,中国这么做是不可能真正赢得朋友的。软实力,说到底,就是要在社会上赢得人心,让人家从心里认同你。这样做与它想在全世界推广自己软实力的努力真是背道而驰的。
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* In Kraftwerks Tourneeplan taucht der Termin in Peking nicht mehr auf. Das Konzert am 04.05.2013 in Hongkong findet laut Plan statt. Hongkong hat als Sonderverwaltungszone andere Visa-Bestimmungen.
** Von Kraftwerk ist nur bekannt, dass sie sich gegen Atomenergie einsetzen.
*** Meist soll auswärtige Kulturpolitik die „Soft Power“ eines Landes in anderen Ländern steigern. Für die VR China sind hier besonders die Konfuzius-Institute zu nennen. Unter „Hard Power“ wird hingegen die Anwendung militärischer (teils auch wirtschaftlicher) Mittel verstanden, um außenpolitische Interessen zu schützen.
Zum Weiterlesen
„Call Them the Beatles of Electronic Dance Music“, New York Times, 15.06.1997