Die Bloggerin „Fette Katzen spekulieren auch mit Aktien“ empfindet die öffentliche Empörung über das Rote Kreuz als ungerecht selektive Hetzjagd. Offenbar selbst Mitarbeiter beim Roten Kreuz, sind die Kritiker des Roten Kreuzes für sie Hypokriten. Denn Mitarbeiter von Wohltätigkeitsorganisationen seien immerhin auch nur Menschen, und Korruption sei nicht das Problem eines einzelnen Sektors, sondern des gesamten Systems. Zusammengefasst von Ella Daschkey und Daniel Soesanto.
Lesen Sie zum Korruptionsskandal des Roten Kreuzes auch den Artikel „Chinas Rotes Kreuz im Sumpf der Korruption“
Der Guo Meimei Skandal hat im Internet eine Diskussion ausgelöst, die das chinesische Rote Kreuz unter Wasser zieht. Die Organisation wurde auf der Stirn gebrandmarkt und wird von den Massen bespuckt und getreten, sobald sie in die Öffentlichkeit tritt. Innerhalb kurzer Zeit haben sich sämtliche Medien und Netizens in schlagartiger Metamorphose in Puritaner verwandelt. Jeder einzelne von ihnen scheint als Personifikation der Gerechtigkeit auf einmal Verurteilungskompetenz zu besitzen. Nach außen hin verhält sich das Rote Kreuz angesichts des enormen Drucks wie eine Schwiegertochter der Öffentlichkeit, die sich schüchtern und gekränkt zu rechtfertigen versucht. Im privaten wetterte ein Stellvertreter des Roten Kreuzes nach einer Pressekonferenz, man könne sich doch nicht so verantwortungslos in die Angelegenheiten des gesamten Roten Kreuzes einmischen, nur weil ein einzelnes „Arschloch Bockmist gebaut hätte“.
Wären es nur einzelne Rädelsführer unter den Netizens, die diesen Wirbel veranstalteten, wäre das ganze bereits beendet. Schließlich ist das Verständnis der systemexternen Öffentlichkeit gegenüber den systeminternen Institutionen wie dem Roten Kreuz von Natur aus begrenzt, und die Meinungsmacher und profitorientierten Medien müssen ihren Lesern und Zuschauern nach dem Mund reden, wenn sie sich ihre Brötchen verdienen wollen. Aber dass jetzt auch noch staatliche Medien wie der Fernsehsender CCTV und die Tageszeitung Global Times mit Steinen werfen, ist eine Frechheit. Auch wenn wir vom Roten Kreuz manchmal widerwillig undurchsichtige Geschäfte machen, sind wir noch längst nicht so hypokritisch wie ihr aufgeblasenen politischen Wichtigtuer. Dass auf uns Hetzjagd gemacht wird, liegt nicht an Korruption, sondern daran, dass wir zu aufrichtig sind. Wären wir eine skrupellose Organisation mit viel Schwarzgeld, würden wir euch einfach kaufen. Die chinesische Öffentlichkeit pickt sich wie beim Kaki-essen immer die Weichen heraus. Sobald man einen Dummen findet, wird er wie ein Dämon zur Strecke gebracht. Letztes Mal hat es die Fußballliga erwischt,* dieses Mal das Rote Kreuz. Wer wird wohl der Nächste sein?
Unbedeutende Angelegenheiten wie eine 10.000 Yuan Restaurantrechnung müssten gar nicht verleugnet werden. Gerade weil wir so selten festlich essen gehen können, werden wir von den Leuten gepackt und nicht mehr losgelassen, wenn wir einmal so eine Gelegenheit auskosten. Das Rote Kreuz ist eine Institution auf Ministerialebene und wird vom Finanzministerium gesponsert. Wenn wir nicht teuer essen, tun es andere. Die nationalen Kosten für Bewirtungsspesen belaufen sich jährlich auf 100 Millionen Yuan. Wird das etwa alles von uns ausgegeben? Jeder hat Dreck am Stecken, ihr müsst euch bloß an die eigene Nase fassen.
Manche meinen auch, es sei besonders schlimm, dass das Rote Kreuz ausgerechnet Spendengelder veruntreut. Aber ob Spenden oder Steuern, es ist immer Geld aus der Tasche des Volkes. Der Unterschied ist nur, dass Spenden freiwillig gegeben werden, Steuern wiederum obligatorisch eingezogen werden. Niemand kümmert sich darum, dass jedes Jahr mehrere Billionen Steuergelder veruntreut statt ihrem Nutzen zugeführt werden. Aber wenn es sich um ein bisschen freiwillig gespendetes Kleingeld handelt, soll damit behutsam umgegangen werden wie mit rohen Eiern. Machen wir es doch gleich so, dass Spendengeld direkt in eine Spendensteuer umgewandelt und obligatorisch eingezogen wird, dann ist keiner mehr beleidigt und wir ersparen uns Sorgen.
Es gibt immer ein paar Leute mit dem naiven Glauben, dass alle Mitarbeiter karitativer Organisationen Engel seien. In Wirklichkeit gehören die Angestellten des Roten Kreuzes einfach nur zum öffentlichen Dienst und machen die Arbeit auch nur, um Geld zu verdienen und ihre Familien zu ernähren. Sie unterscheiden sich von Angestellten aus anderen Bereichen nur eben dadurch, dass ihre Arbeit karitativ ist. Man kann uns doch nicht dafür verurteilen, dass wir uns nicht wie Heilige, sondern genau wie alle anderen benehmen.
Deshalb ist es nicht fair, sich allein gegen das Rote Kreuz zu stellen und es zu verteufeln. Korruption ist nicht das Problem eines einzelnen, sondern des ganzen Systems. Man doktert nur an Symptomen herum und löst die Ursachen nicht. Aber gibt es Leute, die wagen, das Problem des Systems als solches anzusprechen?
* Anm. d. Ãœbers.: Leidet zurzeit ebenfalls unter einem Korruptionsskandal