2011 feiern China und Taiwan das 100ste Jubiläum der Xinhai-Revolution: Der Sturz der letzten Kaiser-Dynastie. Bis heute scheiden sich die Geister über die genauen Vorkommnisse dieser Zeit und über die Rolle von Persönlichkeiten wie Sun Yat-sen. Heute als großes Ereignis für die chinesische Nation gefeiert, ruft die Erinnerung an die Revolution zugleich Fragen auf, zu ihrer Geschichte, aber auch zu ihrem Erbe und der Bedeutung für die heutige politische Situation in China. Einen Einblick in unterschiedliche Gedanken zum Thema Xinhai Revolution hat Marie-Luise Abshagen zusammengestellt.
„Insel zum Waschen der Herzen“ macht sich Gedanken über das jetzige politische System und vertritt die Ansicht, eine Republik wäre auch für China ein guter Weg. Sein Entwurf geht dabei sogar über Modelle westlicher Demokratien hinaus:
„Es gibt jemanden der sagt…. nein, nein, nicht nur einer…. viele sagen, dass „Republik“ doch lediglich eine Bezeichnung sei, dass die großen Worte Suns bloße Illusion seien, viel zu weit hergeholt wären und nicht auf die Zustände des Landes passten. Sie sei nicht mehr als ein Ballon. Der sähe hübsch aus, aber könne der auch in den Himmel fliegen? […] Ich will dich mal was fragen. Wollen wir wirklich keine Republik? Wäre eine Republik wirklich ein Fehler?
Wenn wir keine Republik wollen, dann werden wir für immer eine Autokratie haben.
Wenn wir keine Republik wollen, dann werden wir für immer versklavt werden.
Wenn eine Republik ein Fehler ist, dann ist Demokratie auch ein Fehler.
Wenn eine Republik ein Fehler ist, dann ist Gleichheit auch ein Fehler.
Wenn eine Republik ein Fehler ist, dann ist Brüderlichkeit auch ein Fehler.
Die Republik, die wir wollen, ist kein Fehler.
Natürlich ist sie noch nicht perfekt, deswegen müssen wir sie nach und nach verbessern, auch wenn wir dafür einen gewissen Preis bezahlen müssen.
Oh ja, richtig! Die Kleidung, die ich heute trage, ist ein wenig merkwürdig, nicht wahr. […] Das ist die Kleidung der Republik. Hier habe ich drei Knöpfe hinzugefügt, sie sind das Konzept der Republik und stehen für Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit. Hier sind noch mal drei Knöpfe: Volk, Bürgerrechte und allgemeiner Lebensstandard. Und was ist mit der Verfassung? Ach, ach, ach, ich spreche doch nicht von der Verfassung der drei Gewalten. Ich habe mir eine neue Formulierung ausgedacht: Verfassung der fünf Gewalten.
Was ich hier anhabe, ist die Legislative, dort trage ich die Exekutive, dort die Judikative. Das sind die drei Rechte mit denen ihr vertraut seid, dass sind die indirekten Bürgerrechte.
Wofür ich mich wirklich erwärmen kann, sind direkte Bürgerrechte, welche normalen Menschen die Macht geben, an Politik teilzunehmen und sie zu diskutieren. Das eine, ist das Recht zu überprüfen. […] Dieses Recht müssen wir den Menschen geben. In der Zukunft muss dann jeder Angestellte der Bürokratie überprüft werden, egal um wen es sich handelt. Ein weiteres, ist das Recht anzuklagen. […] Warum verstecke ich das Recht anzuklagen innen drin? Weil es die Mörderwaffe des Volkes ist. Man kann nie wissen, wann sie plötzlich hervorkommt, tötet, dich anklagt. Deswegen musst du als Beamter voller Angst sein und deine Arbeit ehrlich ausführen.“
„Ein Narben-Wasser-Mond“ erinnert an die jungen Menschen, die an der Revolution 1911 teilnahmen, um für ihre Interessen einzutreten und ermahnt die Jugend von heute, deren Andenken zu pflegen.
„100 Jahre sind vorbei. Was machen die jungen Menschen heutzutage? Ãœberall wo man hinschaut, sind sie mit Themen wie Beziehungen, Prüfungen und der Suche nach Arbeit beschäftigt. Und was junge Menschen heute am intensivsten verfolgen, sind die Quadratmeterpreise von Immobilien. Kaum einer redet über die wichtigen Ereignisse unseres Landes und keiner hat Energie oder Zeit sich für geschichtliche Fragen, besonders für Angelegenheiten der „Menschen von früher“ zu interessieren. Wenn man sich heute mit den Menschen um sich herum über die Nation, über Ideologie oder über das System unterhalten will, halten einen die anderen für naiv, für extrem nationalistisch, für krank, für…
100 Jahre sind vorbei. Was haben wir verloren und was ist übrig geblieben? In welche Richtung werden wir gehen? Heute ist das 100ste Jubiläum der Xinhai Revolution und es gibt keinen Grund, diese bewegende Geschichte zu vergessen. Der Grund, warum wir uns heute feierlich an die Xinhai Revolution erinnern sollten, liegt nicht in der Erinnerung an die Revolution oder was sich durch sie verbessert hat, sondern in ihrem revolutionären Geist. Wir jungen Menschen müssen den revolutionären Geist der früheren Generationen weitergeben.“
Auch mit Sun Yat-sen als Führungspersönlichkeit setzten sich viele in China auseinander. Während ihn einige gar nicht als Protagonisten der Revolution verstehen, analysieren andere wiederum seine Politik und Ideale. Blogger „Romantisches, volles Haus“ kritisiert Sun Yat-sens Verständnis von Freiheit und Demokratie:
„Sun Yat-sens Verständnis von Freiheit war extrem engstirnig. […] China war zu der Zeit von den Großmächten erniedrigt worden, deswegen hat Sun zunächst einmal die Freiheit und Unabhängigkeit der Nation hervorgehoben. Das ist ja auch richtig so. Aus einer modernen Perspektive gesehen hat Sun allerdings nicht verstanden, dass ohne den Schutz der Freiheit eines jeden Individuums einer Gesellschaft, die Unabhängigkeit eines Staates nur den Herrschenden zugute kommt und somit für die Menschen nicht die geringste Bedeutung hat. Auch unter der Herrschaft von Kaiser Qin Shihuang* war China unabhängig, aber die Menschen lebten in extremer Versklavung, die sogar zu blutigen Aufständen führte. […] Der Ãœbersetzer der „Evolutionstheorie“ Yan Fu […] betonte die Wichtigkeit von Freiheit und Demokratie. Er war es erst, der den Kern der westlichen Kultur und Politik erkannte: Die modernen Revolutionen in Europa haben sich alle um Freiheit gedreht und nur um diese Freiheit zu schützen, wurde dann die Form der Demokratie gewählt. […] Als eine konkrete Strategie für die Ausrichtung der Verwaltung, schlug Sun Yat-sen vor, dass in Anbetracht der Tatsache, dass die Chinesen politisch noch sehr unerfahren seien, selbst bei Erfolg der Revolution nicht sofort eine konstitutionelle Regierung in Kraft treten könne, sondern erst durch die Erfahrung einer Militärregierung und durch politische Führung eine konstitutionelle Regierung entstehen könne. Das ist aber ein Missverständnis der Grundlage von Demokratie. Demokratie ist keine Idee aus Büchern, sondern ist das Ergebnis von der Balance politischer Kräfte realer Gesellschaften. Falls durch eine Militärregierung bestimmte Parteien oder Individuen die Macht des Militärs und der Regierung auf eine einzelne Person konzentrieren, wird dieses System nach einigen Jahren zum ihrem persönlichen Interesse (eine neue Diktatur). Werden sie dann freiwillig die Macht, die sie in ihrer Hand halten, dem Volk zurückgeben?“
Vielfach wird die Xinhai Revolution auch in einen menschheitsgeschichtlichen Kontext betrachtet und mit anderen Revolutionen oder dem generellen Streben der Menschen nach Freiheit in Verbindung gesetzt. Pang Xiaowu sieht hierbei Parallelen zu den aktuellen Ereignissen in der arabischen Welt sowie zu den Protesten an der Wallstreet.
„Menschliche Gruppen sind sehr vielseitig. Je nach ihrer Stellung haben sie auch unterschiedliche Einstellungen. Ein Revolutionär wird sie unmöglich mit einem absoluten Glauben überzeugen können. In der Jasminrevolution des Mittleren Ostens sind die Forderungen der Menschen auch, je nach Land, etwas anders und wir können diese nicht einfach aus dem Blickwinkel eines historischen Trends heraus entschlüsseln. Wird etwas aber nicht zerstört, so kann es auch nicht wieder aufgebaut werden. Den Gegensatz zwischen dem Diktator und den Massen kann man unmöglich durch Verhandlungen lösen. Und bei der Konfrontation zwischen Unterdrückten und Unterdrückern kann schwerlich ein Kompromiss erzielt werden. Viele Bürgerkriege in der Geschichte waren zwar hart aber dennoch notwendig. Die neue Regierung muss die alten Mächte auslöschen, um ihre Autorität zu etablieren, nur dann kann schnell und effektiv eine neue Politik durchgesetzt werden.
Wenn wir so naiv wären und glaubten, dass die normalen Menschen die Revolution nur für die Republik durchgeführt hätten, wäre das zu einseitig. Damals brachen in China überall Katastrophen aus und es starben mehr Menschen als geboren wurden. Ihre märtyrergleiche Einstellung war so etwas wie die heutigen Selbstmordattentäter. Das, und die Frage nach Demokratie und dem politischen System, sind zwei paar Schuhe.Ein Beispiel dazu. In den USA, die als Modell der weltweiten Demokratie gelten, sind die Massenbewegungen, die zurzeit die Wallstreet besetzt halten, eine Art Klassenkampfbewegung. Diese Menschen, die von der Wallstreet ausgebeutet wurden, fordern „Protest gegen Gier, Korruption und die Budgetkürzungspolitik der Regierung“ und drücken damit ihr Misstrauen gegen das aktuelle Finanzsystem aus. Wie es schon George Orwell in „1984“ beschrieb, haben die Tycoons der Wallstreet wie ein Big Brother die weltweiten Finanz-Spielregeln festgelegt und sich damit die weltweiten finanziellen Ressourcen angeeignet. […] Wenn die Ressourcen einer Gesellschaft nicht mehr rational verteilt werden, dann werden viele, die unterdrückt werden, sich wie schon bei der Xinhai Revolution erheben und widersetzen. Bei ihrer Revolution geht es nicht darum, den Präsidenten des Landes zu stellen oder Warren Buffet zu spielen, sondern es geht wie bei Sun Yat-sen darum, den Menschen ein glücklicheres Leben zu ermöglichen und ein faireres Gesellschaftssystem zu etablieren.“
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* Qin Shihuang war der erste chinesische Kaiser nach der Zeit der Streitenden Reiche und Gründer der Qin Dynastie, mehr Informationen unter  http://de.wikipedia.org/wiki/Qin_Shihuangdi