China beabsichtigt, bis Ende 2020 die Armut im Land zu besiegen. Welchen Beitrag haben die „Hoffnungsgrundschulen“ geleistet, deren älteste in diesem Jahr ihren 30. Geburtstag feiert? Das Jubiläum inspiriert Netizens zu einer Diskussion über persönliche Erfahrungen mit dem „Projekt Hoffnung“ und den sich wandelnden Herausforderungen in der ländlichen Grundbildung.
Das „Projekt Hoffnung“ ist nach eigener Angabe das größte und bekannteste Wohltätigkeitsprojekt in der Volksrepublik China. Es ruft Bürger und Unternehmen zu Spenden auf, um in ärmlichen Regionen sogenannte „Hoffnungsgrundschulen“ zu bauen und Schülern aus bescheidenen Verhältnissen finanziell unter die Arme zu greifen. So wurden nach Angaben der Stiftung über die Jahre 15 Milliarden Renminbi (nach heutigem Wert ca. 1,9 Milliarden Euro) an Spendengeldern gesammelt, 6 Millionen Schüler unterstützt und über 20.000 Hoffnungsgrundschulen gebaut.
Wer profitiert von dem Projekt?
Zu den Spendern zählen sowohl Prominente und bekannte Unternehmen als auch normale Bürger. Knapp die Hälfte der durch Spenden Begünstigten kommt aus Familien mit einem jährlichen Einkommen von weniger als 5.000 Yuan (ca. 630 €). Für diese bedeutet die Unterstützung oft einen grundlegenden Wandel des Bildungsalltags und der Bildungschancen. Ein Nutzer ohne Namen erzählt auf der Frage-Antwort-Webseite Zhihu.com, welchen Einfluss die Organisation auf sein Leben hatte:
Ein weiterer anonymer Nutzer erinnert sich ebenfalls gerne und mit Dankbarkeit an seine finanzielle Förderung durch dieses und andere Projekte.
Harte Lebensrealität in entlegenen Regionen
Warum eine gezielte Förderung der Schüler auf dem Land überhaupt notwendig sein könnte, schildert der ehemalige Freiwilligendiensleistende Wang Zhenpeng in einem ausführlichen und bebilderten Text ebenfalls auf Zhihu. Er beschreibt seine Zeit als freiwilliger Lehrer in einem abgelegenen Bergdorf im Süden der Provinz Sichuan im Jahr 2018. Hierbei war die Schule, an der er arbeitete, keine Hoffnungsgrundschule, sondern eine ausschließlich lokal finanzierte Dorfgrundschule. Seiner Aussage zufolge gab es zu Beginn im Schulgebäude weder fließendes Wasser noch Strom und für die Schüler war eine tägliche Hygiene so überhaupt nicht möglich. Mit einigen „Physikkenntnissen“ löste er beide Probleme durch Improvisation. Was sein bisheriges Weltbild nach eigener Aussage am meisten ins Wanken brachte毁三观 waren aber die obligatorischen Hausbesuche bei den Eltern seiner Schüler. So berichtet er von der Innenausstattung einer Wohnung, die jenseits befestigter Verkehrswege lag:
Es gab kein Bett, keine Möbel, der ganze Boden war von Schlamm bedeckt. (…)没有床,没有家具,满地的泥土。(…)
Auch der Weg zu den Wohnungen der Schüler hinterließ bei ihm bleibende Erinnerungen:
Er berichtet auch von Schülern, die ihre Hausaufgaben auf dem Feld oder in sehr dunklen Wohnungen erledigen mussten. Die Rückständigkeit落后 der Region kommt Wang Zhenpengs Meinung nach nicht nur in der mangelnden Infrastruktur zum Ausdruck, sondern auch in der Rückständigkeit der sonstigen Lebensbedingungen文化的落后:
Angesichts dieses Alltags beschreibt er seinen Eindruck von einer durch den Hongkonger Schauspieler und Sänger Louis Koo** gestifteten Hoffnungsgrundschule, deren Besuch von Wang Zhenpengs Freiwilligenorganisation veranstaltet wurde.
Und er berichtet weiter:
Perspektiven für die Zukunft
Jenseits der überwiegend positiven Erfahrungsberichte von direkt am Projekt beteiligten Personen interessieren sich einige Netizens im Frage-Antwort-Forum Zhihu.com auch für die Frage, inwieweit das Projekt „in die Jahre gekommen ist“ und ob es dieser Form der Förderung noch bedarf. Für Netzbürger Shenpan Guanghuan ist es wichtig, klarzustellen, dass das Land dem Projekt viel verdankt:
Auf diese These können sich die Diskutanten einigen. Aber wie sich insbesondere das Projekt der Hoffnungsgrundschulen in der Zukunft entwickeln sollte wird heiß diskutiert. Netizen Cang Dawei gibt zu bedenken, dass Investitionen in Hoffnungsgrundschulen nicht notwendigerweise nachhaltig sind:
Auch Mitdiskutant piddy-p sieht dieses Problem, weist aber auf Bedarf an anderer Stelle hin.
Netizen „Das weiß kein Mensch“, der selbst auf dem Land lebt und das Projekt aus eigener Anschauung kennt, beschreibt, dass sich die Organisation der neuen Herausforderungen bereits bewusst sei und resümiert seine Sicht auf die Dinge:
Seiner Ansicht nach entsprach der ursprüngliche Ansatz der Organisation dem tatsächlichen Bedarf:
Es bleibt abzuwarten, ob die Regierung ihr ehrgeiziges Ziel, bis Ende des Jahres die Armut in China zu besiegen, erreichen wird und welche Rolle diese und ähnliche Initiativen in der Zukunft noch spielen werden. Für viele Netizens jedenfalls war und ist das „Projekt Hoffnung“ mit seinen Hoffnungsgrundschulen ein wichtiger Bestandteil der Armutsbekämpfung in China.
*Infos zu Chen Tinghua (Chen Din-Hwa): https://en.wikipedia.org/wiki/Chen_Din_Hwa
** Infos zu Louis Koo: https://en.wikipedia.org/wiki/Louis_Koo
Zum Weiterlesen:
Onlinespenden in China – Ethische Pflicht versus gesundes Misstrauen
Reuters, China will in den nächsten sechs Jahren Armut besiegen, 12. Oktober 2015.
Xinhua, China Focus: Thirty years on, China’s first Hope Primary School still changing lives, 19.05.2020.
Hab kürzlich einen TV-Bericht über gefährliche Schulwege Gesehen. Es ist bewundernswert von den Schülern und beschämend für die Gesellschaft, welche Unzumutbaren Strapazen Schulkinder auf sich nehmen müssen, Um Ihr Recht auf Bildung zu erkämpfen, nicht nur in China.