Während die Gesellschaft in China Homosexuelle weder offen ablehnt noch offen toleriert, ist die Akzeptanz innerhalb der Familie selten gegeben. Ob man sich gegenüber seinen Eltern zu seiner Homosexualität bekennen sollte ist für die meisten nach wie vor eine schwierige Entscheidung. Auf einem Blog erzählen Betroffene ihre Geschichten.
Die Familie hat in China einen hohen Stellenwert und auch seitens des Staates wird in den Medien ausschließlich ein traditionelles Familienbild dargestellt. HomosexualitätIm chinesischen Altertum waren homosexuelle Beziehungen gesellschaftlich weit akzeptierter, als dies in der Moderne der Fall ist. Da sie in den großen geistigen Strömungen wie dem Konfuzianismus, dem Buddhismus und dem Daoismus nicht als Sünde galten, sind sogar homosexuelle Beziehungen einiger Herrscher belegt. Auch fand eine breite Darstellung in der Kunst statt. Gesellschaftliche Einschränkungen begannen gegen 1740, als in der Qing-Dynastie das erste Gesetz gegen männlich-männlichen Beischlaf erlassen wurde. Mit der Selbststärkungsbewegung um 1861 wurde, nach der Meinung einiger Wissenschaftler, mit dem Import westlicher Werke und Ideen auch die Homophobie gesellschaftsfähiger. In der frühen Volksrepublik ab 1949 galt Homosexualität als Krankheit und wurde in der Kulturrevolution verfolgt. Mit der Öffnung Chinas nach dem Tode Mao Zedongs fand eine Liberalisierung der Sexualgesetzgebung statt. So wurde 1997 der Analverkehr zwischen Männern straffrei und seit 2001 ist Homosexualität offiziell keine Geisteskrankheit mehr. Eine Zulassung der gleichgeschlechtlichen Ehe ist aber - nach mehreren Anläufen seitens Aktivisten - zuletzt 2019 wieder abgelehnt worden. Quelle: Wikipedia (Artikel über 'Homosexualität in China', 'LGBT-History in China' und 'Homosexuality in China') wird offiziell kaum thematisiert, daher weder befürwortet noch verurteilt. Im Altertum war es oberste Pflicht des Mannes, Kinder zu zeugen. Bis heute wird von den Eltern -meist stillschweigend- vorausgesetzt, dass ihre Söhne und Töchter heterosexuell heiraten und Enkel zeugen.
In diesem Schema scheint kein Platz für Menschen, die sich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung entscheiden, keine heterosexuelle Ehe zu schließen und keine Kinder in die Welt zu setzen.
Unverständnis und Ablehnung
Obwohl Homosexualität in China nicht strafbar ist und seit dem Jahr 2001 juristisch nicht mehr als Geisteskrankheit gilt, führt die Kinderlosigkeit zu einem kulturell bedingten Generationenkonflikt, der meist nur schwer aufzulösen ist. Die hier vorgestellten Geschichten des Coming Outs verschiedener Personen fanden sich alle auf einer WeChat-Seite unter einem Text des Bloggers „Ellemen“ – entweder von diesem selbst zusammengetragen oder als Kommentare unter den Berichten. Das Thema wird aber auch auf anderen Plattformen intensiv diskutiert, etwa auf der Frage- und Antwortwebseite Zhihu oder in dem Forum Jianshu.
Netizen „Kleinhitze“ erzählt uns in einem Kommentar, wie seine Eltern auf seine Offenbarung reagierten:
In diesem Fall wird deutlich, dass für die Mutter ein Leben ohne Schwiegertochter und Enkelkinder schwer zu akzeptieren ist. Die Reaktion des Vaters von Netzbürger „A Zeng“ fällt fast identisch aus:
Der Hinweis auf das Geld spielt darauf an, dass Eltern traditionell Geld sparen, um ihren Kindern einen sicheren Start zu ermöglichen, wozu oft auch der Erwerb einer Wohnung und eines Autos gehören. Die Kinder bringen dann Enkel zur Welt, welche wiederum sehr oft von den Großeltern betreut und aufgezogen werden.
Viele wagen daher kein Coming Out, sondern versuchen stattdessen, ihre sexuelle Orientierung so lange wie möglich gegenüber ihren Eltern zu verheimlichen. Viele Homosexuelle heiraten des sozialen Friedens willen sogar heterosexuelle Partner des anderen Geschlechtes, ohne ihren Partner über ihre sexuelle Orientierung zu informieren. Manche entscheiden sich dafür, sich nicht mitzuteilen und mit dem dauerhaften Verstellen zu leben. So auch die Schwester von Kommentator „FreeSSSSki “:
Das Verheimlichen gestaltet sich allerdings schwierig, da man spätestens zum chinesischen Neujahr nach Hause zurückkehrt und dabei ab einem gewissen Alter von seinen Eltern und anderen Verwandten mit der Frage konfrontiert wird, wann man denn heirate und plane Kinder zu bekommen. Manche Eltern versuchen in ihrer Ungeduld, für ihre Kinder passende Partner zu suchen, was den Druck erhöht, sich zu offenbaren.
Der steinige Weg zu sich selbst
Blogger „Ellemen“ beschreibt auf seiner Seite die Geschichte des Coming Outs dreier Homosexueller. Einer davon ist der 23-jährige „Oscar“. Dieser lebte bis zu seinem Coming Out noch zu Hause und beschreibt den Druck vonseiten seiner Familie:
Um es seinen Eltern möglichst schonend beizubringen, zeigte er ihnen viele Filme mit homosexuellen Inhalten und besuchte mit seiner Mutter ein Konzert, in dem ein Identifikationslied der chinesischen LGBTI-Szene gespielt wurde und dazu gefeiert wurde. Er hoffte, dadurch seiner Mutter eine positive Einstellung gegenüber Homosexuellen beizubringen, fühlte jedoch, dass seine Bemühungen nicht sonderlich erfolgreich waren. Als er sich im Oktober 2018 beruflich neu orientierte, wagte er sein Coming Out, indem er in der WeChat-Familiengruppe schrieb:
Die Reaktion seines Vaters fiel deutlich aus:
Die letzte Aussage liest sich sehr ähnlich wie das offizielle Statement des Justizausschusses des chinesischen Parlaments zur Frage der möglichen Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe vom August 2019. Die Legalisierung wurde abgelehnt. Wenige Tage später legte Oscars Vater nach.
Er teilte seinen Eltern mit, dass er der Homosexualität nicht „abschwören“ werde und fügte hinzu:
Dies führte dazu, dass seine Mutter ihn auf dem chinesischen Chatdienst WeChat blockierte und er für fast ein Jahr nur über seinen Vater als Mittler mit seiner Mutter kommunizieren konnte. Letztlich gelang es ihm aber, seine Mutter davon zu überzeugen, zu einer Veranstaltung seiner Arbeitsstelle zu kommen. Dort konnte diese sich mit anderen Eltern austauschen und ihre Haltung zu Homosexuellen schrittweise überdenken. Inzwischen hat er sich mit seinen Eltern versöhnt und resümiert:
Für Oscar gab es also ein eher glückliches Ende. Leidensgenosse „Marcellus“, der seine Geschichte ebenfalls auf dem Blog von „Ellemen“ vorstellt, musste hingegen einen noch stärkeren Schnitt in der Beziehung zu seinen Eltern hinnehmen. Als er sein Coming Out wagte, zeigte sein Vater sich zunächst verständnisvoll, bevor er am nächsten Tag explodierte:
Mit einem halben Jahr Abstand zu diesem Rauswurf blickt er zurück auf das Verhalten seiner Eltern und kann zumindest teilweise Verständnis aufbringen.
Inzwischen hat er wieder einen eingeschränkten Kontakt zu seiner Mutter. Sein Resümee fällt trotz allem positiv aus:
Schülerin „11“ ist ein weiteres Beispiel dafür, dass es mit der Entscheidung für ein Coming Out nicht so einfach ist:
Ein Mentalitätswandel findet statt
Gerade die Elterngeneration der jetzigen jungen Erwachsenen tut sich schwer mit der Akzeptanz der sexuellen Identität ihrer Söhne und Töchter. Aber es scheint ein Mentalitätswandel stattzufinden, der für künftige Generationen hoffen lässt. Die Heterosexuelle „Shan Xia Jiu Zhi De Lao Po“ beschreibt das offene Klima während ihrer Schulzeit:
Und auch die Eltern einer neuen Generation könnten ihre Einstellung gegenüber dem Thema ändern. Mutter „Fetter Reiswurm“ jedenfalls nimmt sich dies fest vor:
Trotz dieser positiven Veränderungen sind jedoch legislative Schritte, die homosexuelle Partnerschaften auch rechtlich gleichstellen würden, bis auf Weiteres nicht in Sicht.
Zum Weiterlesen:
Homosexualität und gesellschaftliche Verantwortung – die Geschichte von Li Yinhe
Frank Sieren: „Sierens China: Chinesischer Regenbogen“ , Deutsche Welle, 31.05.2019.
Cai Xuejiao und Bibek Bhandari, Ad Featuring Same-Sex Couple Wins Hearts and Minds in China, Sixth Tone, 10. Januar 2020.
„Denn die Menschen sind hienieden
Variiert und sehr verschieden“ (Sprichwort unbekannter Herkunft)
So ist es nicht verwunderlich, wenn es neben den anerkannten und geregelten Formen des Zusammenlebens von Menschen auch immer Abweichungen gibt.
Es gibt nicht zur zwei Geschlechte, es gibt auch nicht nur ein weiteres (drittes, viertes…) Geschlecht. Wir sind auch nicht nur biologisch durch das Vorhandensein bestimmter äußerlicher geschlechtlicher Merkmale definiert, sondern auch durch unser Gefühlsleben und unsere wenig kontrollierbaren Antriebe. Aber alle Gesellschaften auf unserem Globus haben sich zu dieser Tatsache ihre eigenen Regeln gegeben, Regeln, die sich in unserer modernen Zeit ganz offensichtlich regional verschieden schnell auch ändern (können) die aber immer in der Absicht entwickelt wurden, das Miteinander der Menschen möglichst problemlos zu regeln.
Die Menschen sind aber fast überall selbstbewusster geworden und gleichzeitig kommt es zur Aufweichung bestimmter bislang akzeptierter Regeln. Menschen, die in ein bestehendes Regelwerk hinein- geboren und hinein- erzogen worden sind, und die sich dann aber Regel- abweichend entwickeln und erleben mögen, reagieren zunächst vielleicht mit schlechtem Gewissen und Geheimhaltung. Irgendwann, wenn der Leidens- Druck zu stark wird oder man immer öfter auch Schicksalsgenossen trifft , sich miteinander solidarisiert , können sich daraus auch öffentliches Aufbäumen, organisierte Protestbekundungen oder auch organisierte Klamauk-und Publicity- Aktionen bilden (wie erlebt). Das wird zwar bei den ihre Regeln verteidigenden Gesellschaften nicht sofort das von den betroffenen Abweichlern geforderte Verständnis erzeugen, aber die damit verbundene
Öffentlichkeitswirksamkeit wird das ihre tun, das Problem ins Bewusstsein der betroffenen Gesellschaft zu tragen.
In einigen Staaten und Gesellschaft ist es bereits sogar zu gesetzliche Änderungen gekommen (siehe: Schrittweise Abschaffung des § 175 in Deutschland ab 1969/1973/2017).
Religiöse Vorstellungen, angebliche, längst widerlegte Natur- Gesetze und lange gehütete Traditionen verlieren nicht überall gleichermaßen ihre normierende und Gesetzes- bildende Macht.
Die Akzeptanz von allem, was mit Sexualität und Geschlechts- Zugehörigkeit zu tun hat, war also und wird auch weiter in Bewegung bleiben. Es wird aber auch weiterhin Menschen geben wird, die unter den vorgefundenen Regeln oder gerade unter dem Brechen dieser Regeln leiden, ob in Deutschland, in China oder sonst wo. Davon bin ich persönlich überzeugt. Trotzdem bleibt einem die Hoffnung und die Forderung, dass die Kriminalisierung abweichend strukturierter Menschen allmählich überall durch Toleranz und Verständnis ersetzt wird.
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