Tomaten und Kleidung aus Xinjiang: Wer zahlt für den Exportboom?

Tomaten und Kleidung aus Xinjiang: Wer zahlt für den Exportboom?

Xinjiang am westlichen Rand Chinas ©Philip McMaster

Die chinesische Regierung fördert Unternehmen, die sich im wirtschaftlich schwachen Westen des Landes niederlassen. Die Provinz Xinjiang liefert Produkte wie Tomaten und Kleidung an westliche Großunternehmen, darunter Kraft Heinz und Disney. Oftmals scheinen diese Exportprodukte von Uiguren in sogenannten Arbeitslagern gefertigt zu werden.


Xinjiang hat sich wirtschaftlich in den letzten Jahren vor allem auf Landwirtschaft und Textilindustrie spezialisiert. Viele Unternehmen dort produzieren Baumwollgarn, Kleidung und Tomatenmark, nicht nur für den heimischen Markt, sondern auch für den Export nach Europa und in die USA. Abnehmer sind unter anderem global agierende Firmen wie Disney und Kraft Heinz. Nach einem aktuellen Bericht der Global Times, einer englischsprachigen Boulevardzeitung auf dem chinesischen Festland, war die Entwicklung in den letzten Jahren sogar so rasant, dass auch der Handelskrieg zwischen den USA und China nicht spurlos an Unternehmen in Xinjiang vorbeiging.
 

Armutsbekämpfung chinesischer Prägung

 

Seit 2013 unterstützt die chinesische Regierung verstärkt die wirtschaftlich schwache Provinz in Westchina, in welcher vor allem die muslimische Minderheit der Uiguren lebt. Ziel der zentralstaatlichen Förderung sei es laut der staatlichen Nachrichtenwebseite “Xinjiang Economic News”, die „lokale Wirtschaft zu fördern und den Bauern aus der Armut zu helfen“带动当地经济发展,(…),助推农民脱贫致富.

 

China sieht in der Region aber auch ein erhöhtes Risiko für islamistischen Terrorismus und Separatismus. Im staatlichen Fernsehen wird dies am Beispiel von Tursun Ayi veranschaulicht. Dort heißt es:

 

Um gegen den Terrorismus zu kämpfen hat die Regionalregierung in Xinjiang professionelle Weiterbildungszentren errichtet (Dieser Satz liegt im Fernsehbericht nur auf Französisch vor). Frau Tursun Ayi ist ein anschauliches Beispiel. Sie hat von einem Weiterbildungszentrum ein Diplom erhalten und ist nach nur 2 Monaten verantwortlich für Qualitätskontrollen an 6 Produktionslinien bei einer Niederlassung des Unternehmens Hetian Taida in Gazong.图尔荪阿依就是一个鲜活的例子。她现在是和田市泰达服装公司设在尕宗村的卫星工厂的质量管理人员。两个月前她从培训中心结业,现在已经是工厂6条生产线的质量把关人。

 

Westliche Medien wie die Zeitung Wall Street Journal berichten jedoch, dass die Produktion von Tomaten und Textilprodukten teilweise in sogenannten Arbeits- bzw. Internierungslagern stattfindet. Millionen von Uiguren sollen laut einem UN-Bericht in Xinjiang interniert sein, weil der chinesische Staat sie allein aufgrund ihrer Minderheitenzugehörigkeit als potentielle Gefährder einstuft. Gerade das vom chinesischen Staatsfernsehen propagierte Unternehmen Hetian Taida machte vor einigen Monaten negative Schlagzeilen, nachdem die US-Sportartikelfirma Badger Sportswear einen Lieferantenvertrag aufkündigte, weil Hetian die Produkte teilweise in gefängnisähnlichen, hochabgesicherten Einrichtungen mit Wachpersonal fertigte.

 

Ein offenes Geheimnis?

 

Da die Verwendung von Stichworten wie „Xinjiang und Zwangsarbeit“ in chinesischen (sozialen) Medien als hochsensibel eingestuft wird, sind öffentliche Meinungsäußerungen über Arbeitslager sehr selten. Einer der wenigen Orte, an denen sich chinesische Stimmen zur Lage in Xinjiang finden, ist die Epoch Times, eine mehrsprachig erscheinende und von Auslandschinesen herausgegebene Zeitung mit Sitz in New York. Diese gilt als rechtsgerichtet sowie als sehr voreingenommen gegenüber China und der Kommunistischen Partei. Ein User kommentiert dort zur Frage der Arbeitslager beispielsweise:

 

Es gibt in jedem chinesischen Gefängnis Unternehmen, die von der Arbeit der Gefangenen profitieren. Das ist ein offenes Geheimnis in China.大纪元网友【跟评】发表时间: 6 月以前 中国所有监狱都有企业。都是占有监狱服刑犯人的劳动成果而获利。这是国内公开的事实。

 

Ein anderer erzählt von einer persönlichen Erfahrung mit Arbeitslagern:

 

Ich kennen einen, der Geschäftsführer einer Firma ist. Seine Produkte werden in Gefängnissen gefertigt.纪元网友【跟评】发表时间: 6 月以前 我认识一个老板 他产品在监狱生产

 

Einen noch direkteren Kommentar zu Arbeitslagern schreibt dieser anonyme Nutzer, wieder unter einem Artikel der Epoch Times:

 

Es bleibt ja nicht nur bei Blut und Tränen…wie viele Menschen mussten wegen zu starker Arbeitsbelastung bereits ihr Leben lassen?大纪元网友【跟评】发表时间: 6 月以前 岂止是血泪啊……有多少人因为强大的超负荷劳动力而命丧黄泉的~~

 

Die Staatsführung nennt die Lager in Xinjiang offiziell „Ausbildungszentren“. Die US-Sportartikelfirma „Badger Sportswear“ ist anderer Meinung und hat sich deshalb aus Xinjiang zurückgezogen. Zu den Konsequenzen dieser Vorgehensweise äußert sich ein anonymer Netizen auf der chinesischsprachigen Version der US-amerikanischen Nachrichtenwebseite Voice of America wie folgt:

 

Dann verliert Badger halt am Ende seinen Marktanteil in China.不具名 2019年1月11日 1:10 美国獾牌运动服装公司将彻底失去中国市场!

 

Insgesamt bleib festzuhalten, dass es die schwierige Informationslage nicht erlaubt, eine klare Schlussfolgerung zu ziehen. Die Arbeitslager spielen in Xinjiangs wirtschaftlicher Entwicklung vermutlich eine prominentere Rolle als zuvor gedacht und die Problematik scheint zumindest chinesischsprachigen Netizens bekannt zu sein, welche die VOA und Epoch Times lesen. Was Chinesen im Inland darüber denken, bleibt nach einer Analyse (sozialer) Medien in China jedoch im Verborgenen.
 
 

Zum Weiterlesen

 

Eva Dou und Chao Deng: Western Companies Get Tangled in China’s Muslim Clampdown, Wall Street Journal, 16.5.2019

 

Matthias Kamp: Provinz Xinjiang: Welches Unternehmen will schon in ein riesiges Gefängnis investieren?, Neue Zürcher Zeitung, 5.7.2019

 

Vanessa Steinmetz, Reuters, AP: China nennt Internierungslager für Uiguren „freie Berufsausbildung“, Spiegel Online 16.10.2018

 
Chris Buckley und China Said It Closed Muslim Detention Camps. There’s Reason to Doubt That, The New York Times, 09.08.2019

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