Tischtennis in China: Die Mannschaft geht vor

Tischtennis in China: Die Mannschaft geht vor

Liu Guoliang bei einem Turnier zwischen China und Hongkong. Foto: @ Qlln Zhang via Flickr CreativeCommons, tinyurl.com/y8e5lb4w

Ende Juni 2017 zogen sich die drei besten Tischtennisspieler Chinas vom nationalen Meisterschaftsturnier zurück. Sie protestierten gegen die Versetzung des Nationaltrainers und forderten damit das chinesische Sportsystem heraus. In den sozialen Netzwerken schwanken die Meinungen zwischen Unterstützung und harter Ablehnung.

 

 

In diesem Moment sind wir nicht in der Stimmung, um weiter eifrig zu kämpfen. Weil wir Sie einfach vermissen, Liu Guoliang.这一刻我们无心恋战……只因想念您 刘国梁。

 

Mit diesen Worten – veröffentlicht auf ihren jeweiligen Weibo-Accounts – erklärten die drei chinesischen Spitzensportler Ma Long, Fan Zhendong und Xu Xin, warum sie sich aus dem Turnier zurückgezogen haben, nämlich um gegen die Versetzung ihres Cheftrainers Liu Guoliang durch das chinesische nationale Sportbüro zu protestieren. Dieser war trotz des Erfolgs seiner Zöglinge von seinem Posten als Cheftrainer zum stellvetretenden Verbandspräsidenten befördert worden, was jedoch von vielen als Absetzung aufgefasst wurde. Die Aussagen der Spieler wurden zensiert und aus dem Internet entfernt. In der Geschichte des chinesischen Tischtennissports ist dieser Vorfall bisher einmalig.

 

Sportler im Dienste des Staates

 

In den chinesischen Medien und sozialen Netzwerken gab es dementsprechend zahlreiche Reaktionen. Ein unbekannter Nutzer schrieb nicht ohne eine gewisse Prise Ironie:

 

Nur das nationale Sportbüro kann die chinesische Tischtennis-Nationalmannschaft schlagen.能打败国乒队的只有体育总局

 

Der Kommentar spielt nicht nur auf die seit Jahrzehnten existierende sportliche Dominanz der chinesischen Tischtennisspieler weltweit an, sondern auch auf die institutionelle Macht des nationalen Sportbüros über die einzelnen Spieler. Denn unabhängig von ihrem Erfolg als Einzelsportler müssen sich die Athleten dem Sportförderungssystem unterordnen. Man ist als Sportler in erster Linie Vertreter des Landes und nicht von sich selbst. Eigene Trainer, Sponsoren oder gar Meinungen werden nicht geduldet. Dies berichtete auch die beste chinesische Tennisspielerin Li Na, die sich vom Sportsystem lossagte und anschließend erfolgreich wurde. In einer Stellungnahme antwortete der Vertreter des nationalen Sportbüros auf den Rückzug folgendermaßen:

 

Unsere Mannschaft und Sportler sollten jederzeit Patriotismus und Kollektivgeist an oberste Stelle setzen, ihre Fähigkeiten und ihren Lebensstil perfektionieren sowie gleichermaßen strenge Anforderungen an Disziplin und das sportliche Niveau stellen.(...) 我们要求运动队、运动员任何时候都要将爱国主义、集体主义放在首位,过硬的思想作风、严格的纪律要求与运动水平同样重要。(...)

 

Diese Haltung findet man auch vereinzelt in den sozialen Netzwerken wieder. So äußert ein offensichlich sehr patriotisch gesinnter Zeitgenosse auf Weibo seine Zustimmung folgendermaßen:

 

Mein persönlicher Lösungsvorschlag bzgl. des Rückzugs der Tischtennismannschaft:      1. Alle drei Spieler und beide Trainer auf Lebenszeit aus dem Nationalteam werfen (…); 2. Sie bestrafen und ihnen die in der Vergangenheit ehrenhaft gewonnenen Preise abnehmen; 3. Sie für vier Jahre nicht mehr an nationalen Wettbewerben teilnehmen lassen. Ich denke, man muss sie hart bestrafen, um solche Aktionen in Zukunft zu unterbinden. (…)个人对乒乓球队罢赛的处理建议:1.罢赛三名运动员和2名教练永远开除出国家队,终身不得录用;2.罚款,收回之前夺得荣誉获得的奖金;3.取消国内比赛四年的参赛资格。我觉得只有严厉惩处,才能杜绝此类事件再次发生(...)

 

Vaterlandsliebe oder Meinungsfreiheit?

 

Ein wiederkehrendes Element in den Kommentaren ist auch die fehlende Vaterlandsliebe, die aufmüpfigen Sportlern unterstellt wird. Ein User teilt diesbezüglich seine Meinung mit:

 

Bei dieser widerlichen Geschichte des Turnierrückzugs des chinesischen Tischtennisteams wird einem kalt ums Herz. Der Aufbau und das Management einer solchen Mannschaft offenbart den Patriotismus der Athleten bei internationalen Turnieren.看到中国乒乓球队”四大天王”集体罢赛的恶性事件发生令国人心寒,这样的队伍建设和管理(...)国际比赛暴露出国乒的爱国...//【体育总局:国乒擅自弃赛极其错误 责成严肃处理】

 

Doch die Entscheidung der chinesischen Tischtennisnationalmannschaft trifft in den sozialen Foren überwiegend auf breite Unterstützung. Viele Kommentatoren sprechen sich für die Sportler, aber auch explizit gegen das nationale Sportbüro aus. Ein Nutzer wägt ab und kommt zu folgendem Schluss:

 

Obwohl mir der Turnierrückzug der Tischtennismannschaft nicht ganz gefällt, finde ich das Verhalten des nationalen Sportbüros, mit der Peitsche der Vaterlandsliebe anzukommen, unglaublich widerwärtig.虽然不赞赏乒乓球队的罢赛,但是体育总局挥舞着爱国主义的大棒喊打喊杀的行为太卑劣了。

 

Ein anderer fragt sich, welche Gründe es gäbe die Meinungsfreiheit zu beschränken. Er kann nur drei finden:

 

Erstens, man hat in der Vergangenheit etwas Krummes gemacht, und hat Angst, dass es durch die Leute rauskommt. Zweitens, man ist dabei etwas Krummes zu machen, und hat Angst vor der Kritik der Leute. Drittens, man bereitet sich gerade vor, etwas Krummes zu machen, und hat Angst, dass die Leute es enthüllen.(...) 1、它过去做了坏事,怕人们提起。2、它正在干坏事,怕人们批评。3、它准备干坏事,怕人们揭露。(...)

 

Ende der sportlichen Dominanz?

 

Ob dafür oder dagegen, die Diskussion um den außerordentlichen Rückzug der chinesischen Sportler vom Turnier zeigt vor allem, dass sich viele der großen Bedeutung der Entscheidung bewusst sind. Bleibt nur die Frage, ob Sportler, Trainer, Verband und Politik an einer gemeinsamen Lösung arbeiten können, um eine gesündere Balance zwischen individuellem Freiraum und sturem Kollektivismus zu finden.

 

Tief gespalten urteilt ein Weibo-Nutzer abschließend:

 

Man kann nur still und leise seine Empörung gegenüber dem System zum Ausdruck bringen. Die weltweite Dominanz der chinesischen Tischtennisspieler wird nun vielleicht Geschichte sein.只能默默的对这种体制表达自己的愤慨。称霸地球表面的中国乒乓球恐怕将要成为历史了。

 

 

 

Zum Weiterlesen:

 

Christoph Giesen, Rebellion in China, Süddeutsche Zeitung, 25. Juni 2017.

 

bam/sid, Chinesen sorgen bei Heimturnier für Eklat, Spiegel Online, 28. Juni 2017.

 

‚Chengdu Three‘ table tennis players mount rare Chinese revolt, Agence France Presse, 4. Juli, 2017.

Kategorien: China Global, Gesellschaft, Kultur, Politik, Tags: , , , , . Permalink.

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