Mit 280 Millionen Mitgliedern ist der Allchinesische Gewerkschaftsbund zwar die größte Gewerkschaft weltweit, er ist aber weithin dafür bekannt, als verlängerter Arm der Regierung zu agieren. Um mehr über die aktuelle Situation zu erfahren, hat #SAC mit dem Hongkonger Aktivisten Apo Leung Po Lam gesprochen.
Apo Leung ist ein erfahrener Aktivist. Er betreut seit vielen Jahren das Engagement des Asia Monitor Resource Centre (AMRC) auf dem Festland, wo sich ArbeitnehmerInnen in einer prekären Lage befinden, wenn ihre Rechte verletzt werden. Ohne koordinierte Gewerkschaftsarbeit stellt sich die Frage, wie sich ArbeitnehmerInnen in China überhaupt über Arbeitsbedingungen und Streiks informieren. Apo erläutert:
Die staatlichen Medien verharmlosen Streiks und Arbeiterproteste. Es gibt Vorgaben wie die „Sieben Un-Themen“ 七不讲, nach denen solche Zwischenfälle oder allgemein schlechte Nachrichten nicht veröffentlicht werden dürfen, um nicht mehr Unruhe zu provozieren und ausländische Investoren abzuschrecken. Die meisten Medien halten sich an diese Parteilinie und praktizieren Selbstzensur. Die Arbeiter beschweren sich sogar bei den Reportern, die vor Ort sind, aber es gibt keine Berichte darüber. Die ArbeitnehmerInnen nutzen ihre eigenen Kommunikationskanäle, wie z.B. Weibo. Smartphones werden häufig eingesetzt, um Polizeigewalt, Demonstrationen oder Proteste öffentlich zu machen. Einige Gruppen nutzen Webseiten wie Red Balloon und Youth Spark oder von Aktivisten erstellte Magazine wie Goalpost, um ihre Forderungen und Solidaritätsaufrufe zu verbreiten.
Allein von Januar bis Juni 2016 gab es 1456 Streiks in China. Eine beeindruckend hohe Fallzahl angesichts einer fehlenden zentralen Organisation. Apo Leung beschreibt, wie solch ein Streik abläuft:
Die ArbeiterInnen lernen am Beispiel von Demonstrationen und Streiks in anderen Fabriken. Zum Teil organisieren sie sich innerhalb ihrer Bruderschaften [also im Kreise derer, die aus dem gleichen Dorf stammen] oder in den zu ihren Fabriken gehörenden Gemeinschaftsschlafsälen, zum Teil auch innerhalb der Arbeitseinheiten und angeleitet von ihren [unmittelbaren] Vorgesetzten. Sie treffen sich in Restaurants, Schlafsälen oder Büros von Nichtregierungsorganisationen (NRO), um ihre Forderungen zu diskutieren. Die Dauer der Streiks ist sehr kurz, selten sind es mehr als drei Tage. Sie vertrauen darauf, dass gemäß dem Motto „Kein Streik, keine Verhandlungen“ die Regierung und das Management erst dann anfangen zu verhandeln, wenn sie aktiv werden. Die Regierung fördert Tarifabkommen, setzt Richtlinien auf und gibt Modelle vor. Aber in Realität werden staatliche Stellen kaum aktiv, bevor eine Krise eintritt. Darüber hinaus haben Lokalregierungen substantielles Eigeninteresse an den Geschäften – es gibt de facto kein Fairplay im Verhandlungsprozess.
Über viele Jahre hinweg haben in Hongkong ansässige NRO ihre Erfahrungen und Kontakte im internationalen Kontext genutzt, um Unterstützung für ArbeitnehmerInnen auf dem Festland zu generieren. Ihre Ermutigung und praktische Unterstützung haben zur Gründung von mehr als 150 NRO auf dem Festland geführt. Über die Unterstützung, die Hongkonger NRO ihren Counterparts auf dem Festland anbieten, berichtet Apo:
De facto können NRO in Hongkong lokalen Gruppen auf dem Festland rechtliche und moralische Unterstützung sowie allgemeine Orientierung anbieten. Auch logistische sowie finanzielle Hilfe werden geleistet. Eine dritte wichtige Säule ist die Verbindung zum Ausland: Über Hongkong werden Informationen an die internationale Öffentlichkeit weitergereicht, an Organisationen wie die Internationale Arbeitsorganisation ILO, die Vereinten Nationen und andere Interessensverbände, insbesondere dann, wenn ein Fall die Zulieferkette eines internationalen Unternehmens betrifft. Zuletzt wurden Hongkonger NRO aktiv, als es 2015/16 zu brutalen Übergriffen auf lokale Arbeits-NRO auf dem Festland kam. Auch im Falle von Foxconn, Disney und dem Honda-Streik wurden die Hintergründe über den Hongkonger Gewerkschaftsbund und Students and Scholars Against Corporate Misbehavior SACOM veröffentlicht.
Apo Leung verweist darauf, welche praktischen Schwierigkeiten diese Arbeit nach sich zieht:
Ein zweiter Ansatz funktioniert nach dem Prinzip „Teile und herrsche“ – die Regierung macht selber „Nicht“-Regierungsorganisationen auf, die „unsere“ NRO als Agenten ausländischer Kräfte diffamieren, die die harmonischen Beziehungen in der Industrie zerstören wollen. „Unsere“ NRO auf dem Festland werden engmaschig von der Polizei und Kräften der nationalen Sicherheit überwacht. Ihre Mitarbeitenden und deren Freunde und Verwandte werden oft ununterbrochen eingeschüchtert. Unsere Treffen mit ihnen werden häufig unterbrochen oder gleich ganz sabotiert. Staatlicherseits vorgenommene Sabotage schließt die Unterbrechung von Wasser und Stromlieferung ebenso ein wie die vorzeitige Beendigung von Mietverträgen für Büros und Schutzunterkünfte für Arbeiter. Eingeladene AkademikerInnen werden abgehalten, uns zu treffen und unsere Mitarbeitenden dürfen nicht an internationalen Treffen im Grenzgebiet zu Hong Kong teilnehmen.
Die Arbeit in einer NRO kann gravierende Folgen für das Personal haben. 2015 und 2016 wurden insbesondere Mitarbeitende von rechtsberatend tätigen NRO verhaftet. China hat in den letzten Jahren zahlreiche Gesetze und Bestimmungen erlassen, die ArbeitnehmerInnen schützen sollen – darunter Regelungen zum Mindestlohn, zu maximalen Arbeitszeiten, Arbeitssicherheit sowie zu Sozialversicherungsleistungen. Grundrechte wie das Streikrecht oder Kollektivvertragsverhandlungen bleiben hingegen ausgeklammert. Apo Leung schildert, welche Konsequenzen die Teilnehmenden an einem Streik erwarten können:
Die Zahl an polizeilichen Übergriffen auf Streikende nimmt zu, sogar dort, wo Aktionen nur auf dem Gelände von Fabriken stattfinden. Anführer können willkürlich verhaftet und ohne öffentlichen Prozess inhaftiert werden. In einigen Fällen setzen Arbeitgeber auch Gangster ein, um ArbeiterInnen einzuschüchtern oder anzugreifen. Die ArbeiterInnen werden dann innerhalb der Industriegebiete auf schwarze Listen gesetzt oder gezwungen, nach Hause [d.h. in ihre Heimatprovinz] zurückzukehren. Wenn sie vor Gericht ziehen, haben sie ohne Unterstützung durch NRO und Rechtsanwälte auf dem komplizierten Rechtsweg keine Chance.
Viele westliche Firmen berichten in den Medien und auf den eigenen Webseiten von ihrem umfänglichen Engagement im Bereich Unternehmensverantwortung (corporate social responsibility – CSR). Apo schätzt die Wirkung des Konzepts der „Unternehmensverantwortung“ hingegen eher gering ein:
Ich glaube, dass die CSR-Bewegung nur unbedeutende Verbesserungen mit sich bringt, solange echte Kollektivverhandlungen zwischen den beiden Parteien nicht existieren. Wir können CSR als ein Instrument einsetzen, um einzelne Fälle zu verfolgen, aber am wichtigsten ist es weiterhin, ArbeiterInnen zu organisieren und ihr Rechtsbewusstsein zu stärken. Positiv nutzen ließ sich der CSR-Mechanismus auf China bezogen bisher z.B. im Bereich Überwachung von Arbeitsgesundheit und Arbeitssicherheit in der Schuhproduktion (Reebok, Nike und Adidas). CSR bleibt aber vornehmlich eine Einkommensquelle für Dritte wie Auditoren und Kontrolleure wie die Fair Labour Association (FLA), die mit Zertifizierung und Inspektionen Geld verdienen.
Zum Weiterlesen/-schauen:
Samuel Wide, Documentary Shows Tide Turn Against Labor Activism, China Digital Times, 27.02.2017 mit Link zum Trailer des Dokumetarfilms “We, the Workers”
Apo Leong, Freedom of Association under Siege: The Predicaments of China’s Labour NGOs, Asian Labour Update Issue 84, August 2014
Made in China: A Quarterly on Chinese Labour, veröffentlicht auf http://www.chinoiresie.info/
Anmerkung der Redaktion: Die Fragen wurden auf Englisch beantwortet, auf die Wiedergabe des englischen Originals wurde verzichtet.