Ein überwältigender Sieg – die Oppositionskandidatin Tsai Ing-Wen ist seit Januar designierte Präsidentin Taiwans. Netzbürger diskutieren die Veränderungen, die nach der Amtseinführung im Mai auf die Insel im südchinesischen Meer zukommen.
Die Vorsitzende der Fortschrittspartei (DPP) hat die Wahl mit 56 Prozent der Stimmen gewonnen. Ihr Herausforderer Eric Chu von der China-freundlichen Kuomintang (KMT) scheiterte nach Angaben der Wahlkommission in Taipeh mit nur 31 Prozent – eine peinliche Niederlage nach acht Regierungsjahren.
Weniger Touristen aus Festlandchina, bitte!
Der Machtwechsel könnte die Spannungen mit China verschärfen. Das Land betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz und droht mit einer gewaltsamen Rückeroberung. Die bisherige Regierungspartei KMT hatte einen Kurs der Annäherung an China verfolgt. Dazu gehörten unter anderem Handelsabkommen und das erste Treffen der beiden Staatschefs seit 1945 im November letzten Jahres.
Die KMT war zuletzt wegen ihrer China-freundlichen Politik in die Kritik geraten. Von Tsai Ing-Wens Fortschrittspartei erhoffen sich ihre Wähler eine Stärkung der taiwanesischen Identität – auch wenn Tsai selbst als gemäßigt gilt. Viele Taiwanesen möchten sich bewusst von Investoren und Touristen aus Festlandchina abgrenzen. Ein Facebook-User bittet die zukünftige Präsidentin um Folgendes:
Die Besucher aus Festlandchina nutzen zwar der Tourismus-Industrie, aber in der Bevölkerung sind sie zunehmend unbeliebt. Dabei ist es nicht nur die schiere Masse an Touristen, sondern vor allem ihr Verhalten, das unangenehm auffällt. Blogger „Yan Changhai“ erklärt seine Abneigung folgendermaßen:
Taiwanesen leiden unter Wirtschaftsrückgang
Im Wahlkampf ging es aber neben den Beziehungen zu China auch um andere Angelegenheiten. Netizen „Morgendämmerung“ beschwert sich über die einseitige Diskussion in den Medien:
Tatsächlich betrug das Wirtschaftswachstum in Taiwan 2015 nur noch ein Prozent – nach knapp drei Prozent in 2014. Taiwan schneidet damit deutlich schlechter ab als andere exportorientierte Länder in der Region wie etwa Südkorea.
Jugendarbeitslosigkeit und steigende Immobilienpreise tragen zur allgemeinen Unzufriedenheit bei. Besonders in der Hauptstadt Taipeh ist Wohnraum für Normalverdiener kaum noch erschwinglich. Eine Studie zeigt, dass die Stadt inzwischen relativ zum Einkommen zu den teuersten weltweit gehört. Das geht auch an Netizen „Wassermann Herz Glocke“ nicht spurlos vorbei:
Die designierte Präsidentin verspricht sozialen Ausgleich
Von der neuen Regierung erhoffen sich viele Taiwanesen deswegen mehr soziale Gerechtigkeit – wie im Wahlkampf versprochen. Tsai Ing-Wen plant in Sozialwohnungen zu investieren, deren Anteil momentan nur bei 0,08 % liegt. Ab Mai 2016 muss sie zeigen, ob sie den hohen Erwartungen ihrer Wähler gerecht werden kann. Nach dem Sieg trägt Tsai jetzt erst einmal das neue nationale Selbstbewusstsein offensiv zur Schau:
Zum Weiterlesen
Christian Schroedder: “Illegal mit Aussicht” , Zeit Online, 16.1.2016
Maximilian Kalkhof: “Wahlen in Taiwan – die “Unruhestifterin” greift nach der Macht” , Spiegel Online, 15.1.2016
Politics in Taiwan – “A Tsai is just a Tsai” , The Economist, 9.1.2016