„Captain China“ sorgt in Chinas Internet für Unruhe. Der Superhelden-Comic sei eine Karikatur auf Chinas Gesellschaft und chinesischen Fälscherhöhlen entsprungen, mutmaßen viele Nutzer. Sein Schöpfer ist jedoch ein US-Bürger taiwanesischer Abstammung und heißt Chi Wang. Im SAC-Interview erklärt der 39-jährige Autor und Chef des in Orlando ansässigen Verlags Excel Comics, wofür die Figur „Captain China“ steht und wie er die chinesischen Internetkommentare sieht. Neue Abenteuer des Superhelden enthüllt er auch. Das Interview ergänzt unseren Hintergrundtext.
Herr Wang, wie Excel Comics Anfang Juli auf Facebook mitgeteilt hat, ist der dritte Band von „Captain China“ in Arbeit. Wie zufrieden sind Sie mit dem Erfolg der ersten beiden Bände und den Reaktionen auf „Captain China“ bisher? Welche Erwartungen hatten Sie, als der erste Band 2012 erschien?
Ich bin äußerst zufrieden mit den bisherigen Reaktionen. Dies ist seit 20 Jahren der erste Superhelden-Comic eines kleinen Verlags, der ganz ohne Werbung die Aufmerksamkeit internationaler Medien auf sich zog. Ich war zu der Zeit wegen einer Familienfeier in Taiwan und bekam das erst ein paar Tage später mit, als mich dort ein Freund informierte. Mit einer weltweit so großen Resonanz hatte ich nicht gerechnet.
Welchen Comic-Markt und welche Zielgruppen hatten Sie damals in erster Linie im Blick?
„Captain China“ war zunächst als Parodie für den amerikanischen Comic-Markt gedacht. Ursprünglich wollte ich das Superheldenkonzept durch eine Figur auf den Kopf stellen, die für „Wahrheit, Gerechtigkeit und den kommunistischen Weg“ kämpft. Nach meiner China-Reise 2009 habe ich mich aber entschlossen, das Konzept dahingehend zu ändern, dass es sowohl das westliche als auch das chinesische Publikum erreicht. Die Geschichten und Charaktere sollen als Einstieg für westliche Leser dienen, die immer noch eine stereotype oder überholt antikommunistische Sicht auf China haben. Aber ich habe auch viele historische, kulturelle und gesellschaftliche Elemente eingebaut, die nur Chinesen zuordnen und verstehen können. Wegen dieser einzigartigen Herausforderung wurde „Captain China“ für mich zu einer sehr reizvollen Aufgabe: Einen chinesischen Superhelden-Comic zu haben, der China und seine Menschen westlichen Kulturen auf eine faire und positive Weise näherbringt.
Wofür steht dann die Hauptfigur Li Feng, wie der Superheld bürgerlich heißt?
Die Figur verkörpert China. Li Fengs Vergangenheit ist eng mit Chinas Geschichte zwischen 1945 und ’58 verknüpft. Seine damalige Superhelden-Identität als „Liberator“ (Befreier) gleicht dem Anfang und Ende des „Großen Sprungs nach vorn“ (um den es im achten Band gehen wird). Heute ist China eine Nation, die viele ihrer kulturellen Traditionen verloren hat. Seine Menschen suchen noch nach Identität und ihrem Platz in der Welt. Durch den Namen „Captain China“ sollen Li Fengs innere Konflikte Chinas Reise und seinen Wandel in heutiger Zeit widerspiegeln.
Gerade auch durch diese Namenswahl findet „Captain China“ bei chinesischen Internetnutzern viel Beachtung. Verfolgen Sie deren Diskussion?
Ja, als Teil meiner Marktforschung beobachte ich Kommentare im Internet genau, besonders die von chinesischen Nutzern. Das ist sehr interessant, weil meine Absichten und deren Schlüsse oft weit auseinandergehen. Zum Beispiel sind Attentate auf den Präsidenten ein typisches Handlungselement in zahllosen amerikanischen Filmen, TV-Serien und Comics. Wir Amerikaner sehen in solchen Geschichten bloß Unterhaltung. Für chinesische Leser hingegen ist es politisch, wenn in „Captain China“ ein solches Szenario vorkommt. Wie kulturelle und gesellschaftliche Unterschiede so drastische Reaktionen auf einen Comic hervorrufen können, finde ich faszinierend. Und auch sehr ermutigend, denn negative wie positive Kommentare zeigen, dass es Leute anspricht!
Und wie informieren Sie sich über China, wie bleiben Sie am Puls seiner Gesellschaft?
Neben einer intensiven Recherche hinsichtlich historischer und geografischer Details ist meine China-Reise von 2009 Grundlage für viele Inhalte des Buchs. Im Kern ist „Captain China“ ein Superhelden-Comic. Die Charaktere und Geschichten dieses Genres sind meist Teil einer Hyper-Realität, die unsere Welt überhöht und verzerrt. Die Geschichten müssen nicht zu hundert Prozent realitätsgetreu sein. Es braucht nur so viel Wirklichkeit, dass sich Leser damit identifizieren können. Ihre Vorstellungskraft füllt dann den Rest aus.
Haben Sie angesichts der Reaktionen jemals darüber nachgedacht, den Comic offiziell in der Volksrepublik zu vertreiben? Veröffentlicht werden die Bände ja immer auch auf Chinesisch. Sollte sich diese Möglichkeit ergeben, wären Sie dann dazu bereit, den Comic so anzupassen, dass er durch die Zensur käme?
Schaut man sich Olympia 2008 in Peking oder die Expo 2010 in Shanghai an, dann sieht man, wie sehr die chinesische Regierung Chinas Erbe und seine guten Seiten der Welt zeigen möchte, sei es in Kultur, Kunst oder Unterhaltung. In einem gewissen Sinne macht „Captain China“ genau das! Ich bin überzeugt, dass der Comic in China von jetzt auf gleich zu einem Verkaufsschlager würde, wenn man ihn unverändert veröffentlichte. Bei Veränderungen würde er wahrscheinlich zu einem Reinfall, weil dann ein wesentlicher Teil seines Konzepts verloren ginge, nämlich den Weltmarkt anzusprechen. Bietet mir aber jemand Säcke voller Geld für eine angepasste China-Version, dann sage ich nicht nein!
Bisher sind zwei Bände erschienen, die nur digital als Kindle eBooks auf Amazon vertrieben werden. Wann kommt der dritte Band? Gibt es Pläne, den Comic auch gedruckt anzubieten?
Nein, die gibt es nicht. Hinsichtlich Kosten und Vertrieb ist der digitale Weg einfach der effektivste. Wann der dritte Band erscheint, weiß ich noch nicht. Wir tüten gerade das Artwork für den achten Band ein und ich überlege, mit der Veröffentlichung des dritten Bandes noch so lange zu warten, bis die Geschichten aller Bände komplett stehen. Insgesamt werden zwölf Bände erscheinen, das war von Anfang an so geplant. Momentan gibt es auch noch einige Probleme, besonders was das Vertriebssystem angeht. Heute ist es bei all den digitalen Lesegeräten, Tablets und Smartphones sehr schwierig, ein einheitliches Format zu finden, das auf allen Plattformen funktioniert und sich einfach hochladen, kaufen und herunterladen lässt. Der ständige Wandel der digitalen Landschaft ist für unabhängige Verlage ein großes Problem. Ich denke gerade auch über andere digitale Optionen nach, die ich an dieser Stelle noch nicht preisgeben möchte.
Aber lassen Sie sich mit dem dritten Band nicht zu viel Zeit! Das Cover, das Excel Comics Anfang Juli auf Facebook geteilt hat, verspricht saftige Action. Gewähren Sie uns noch einen kleinen Einblick in seine nächsten Abenteuer?
Im dritten Band kriegt es „Captain China“ mit einem nordkoreanischen Spion zu tun, der das chinesische Weltraumprogramm sabotieren will. Und im vierten Band muss ein japanisches Superhelden-Team in Shanghai gerettet werden, das bei der Vermarktung der „Captain China“ –Spielzeugserie helfen soll – so viel kann ich verraten. Die ersten vier Bände sind voneinander unabhängige Episoden, die hauptsächlich der Einführung in die Welt des Comics und seiner Charaktere dienen. Als Wendepunkt ist der fünfte Band dann Auftakt zu einer größeren Geschichte. Ich denke, es wird ein sehr zufriedenstellender Ritt sein, wenn alles fertig ist. Ich bitte die Leser also um Geduld!
Vielen Dank für das Interview, Herr Wang!
Das Interview führte Oliver Pöttgen im September 2014.
Zum Weiterlesen
Oliver Pöttgen: „Captain China rettet die Welt“, Stimmen aus China, 08.09.2014.