Neufassung des chinesischen Ehegesetzes: Ungerecht, frauenfeindlich oder notwendige Änderung?

Neufassung des chinesischen Ehegesetzes: Ungerecht, frauenfeindlich oder notwendige Änderung?

Seit dem 13. August 2011 ist eine Neufassung des chinesischen Eherechts in Kraft. Insgesamt umfassen die Neuerungen 19 Artikel, aber nur zwei Paragraphen erregen die Gemüter: Wer darf nach der Scheidung das Haus behalten?

 

Die umstrittene Neufassung des Ehegesetzes

 

 

Am 13. August 2011 hat der chinesische Oberste Volksgerichtshof die dritte revidierte Version des Ehegesetzes von 2001 verabschiedet. Sie umfasst 19 neue Artikel. Im Wesentlichen erregt jedoch lediglich die Neuregelung der Eigentumsfrage von Immobilien im Scheidungsfall besondere gesellschaftliche Aufmerksamkeit.

 

Bisher wurden Immobilien als gemeinsamer Ehebesitz betrachtet. Wurde die Ehe geschieden, so wurde der Immobilienwert unter beiden Ehepartnern aufgeteilt. Im Streitfall fiel die gemeinsame Wohnung zumeist, ebenso wie das Sorgerecht für die Kinder, der Frau zu. Die Gesetzesneuerung legt hingegen nun fest, dass vor der Heirat gekaufte Immobilien auch nach der Scheidung als persönliches Eigentum des jeweiligen Ehepartners gelten.

 

Auch wenn die Eltern ein Haus oder eine Wohnung für ihr Kind erwerben und die Besitzurkunde auf dessen Namen ausstellen, bleibt die Immobilie gemäß des revidierten Ehegesetzes nach der Scheidung im Besitz des Kindes. Haben beide Elternpaare den Ehepartnern eine Immobilie geschenkt, wird der Kaufwert im Falle einer Scheidung zu gleichen Anteilen aufgeteilt.

 

Die Frage danach, wie fair diese Gesetzesänderungen sind, wurde in den chinesischen Medien und Internetforen kontrovers diskutiert. Die Neufassung als dringend nötige Änderung? Warum muss ein Artikel, der die Besitzfrage der Immobilien im Scheidungsfall regelt, überhaupt im chinesischen Ehegesetz auftauchen?

 

Auf dem Nachrichtenportal eeo.com.cn begründen die Journalisten Xie Liangbing und Gan Shangnian die These, die Neufassung des Gesetzes trage den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in China Rechnung:

 

 

Innerhalb dieser Zeit (nach der zweiten Revision des Ehegesetzes von 2001) stiegen aufgrund der Reform des Wohnungssystems auch die Immobilienpreise in China immer mehr an. Eine Wohnung wurde zu einem der „Must-Haves“ für die Hochzeit. Aber aufgrund der eingeschränkten finanziellen Situation ihrer Kinder, kauften die Eltern für sie die Wohnung. Diese geschenkte Wohnung wurde zu einem potentiellen Streitpunkt innerhalb des Scheidungsprozesses. Die dritte revidierte Fassung des Eherechts erschien genau zur richtigen Zeit.

Sie zitieren weiterhin Expertenmeinungen, wonach es in 90% der Scheidungsfälle zum Streit ums Vermögen, vor allem um die Wohnung, komme. Traditionell zog in China die Frau nach der Hochzeit in das Haus der Familie des Mannes. Bis heute setzt sich diese Tradition in der Partnerwahl vieler Frauen fort: Sie legen großen Wert darauf, dass der zukünftige Ehemann eine Wohnung besitzt. Deshalb lässt sich in China der deutliche gesellschaftliche Trend beobachten, dass die Eltern ihrem Sohn eine Wohnung kaufen, um ihm überhaupt erst eine Chance auf dem Heiratsmarkt zu ermöglichen.

 

Chinesisches Scheidungsrecht: Für die Männer eine „frohe Botschaft“, für die Frauen ein „Albtraum“?

 

In den Diskussionen um die Neufassung des Eherechts taucht häufig der Vorwurf auf, die Neuerungen beschnitten die Rechte der Frau: So kommentiert die Bloggerin Pingshui Xiangfei:

 

Als ich das neue Ehegesetz zum ersten Mal gelesen habe, war ich zuerst wütend, dann traurig. Dann habe ich mich fast krank gelacht weil China es tatsächlich geschafft hat, sich 1000 Jahre zurück zu entwickeln. (…) Eine Ehe ist eine Garantie, eine Verbindung, das heißt gemeinsam durch dick und dünn zu gehen. Wenn vor der Hochzeit jeder für sich allein steht, sich das aber in der Ehe und besonders nach der Scheidung nicht ändert, wozu soll man dann überhaupt noch heiraten? Welche Frau kriegt denn dann bitte ohne eine Wohnung zu besitzen noch Kinder? (…) Das neue Ehegesetz schützt die Rechte der Frau nicht mehr. Die von der Gesellschaft ohnehin schon genötigten Frauen müssen für sich selber etwas schaffen, für sich selber kämpfen.当我看到新婚姻法的时候,我第一反应是气愤,第二反应是觉得悲哀,第三反应是狂笑中国竟然有本事倒退到1000年前. (…)婚姻是一种保障,一种维系,一种相濡以沫。如果结婚前是各归各,结婚后依旧各归各,离婚了更是各归各。那还用结婚做什么。那哪个没房子的女人还敢生孩子啊。(…) 新《婚姻法》对女性的保护已经不复存在。社会已经逼迫的女人不得不自己去创造,不得不自己去奋.

 

Yu Ge hingegen betrachtet die Gesetzesneuerung nüchterner. Er sieht darin einen besseren Schutz der individuellen Rechte der Ehepartner:

 

Das Ehegesetz hat seine moralische Ausrichtung geändert: Während vorher die Familienethik im Mittelpunkt stand, wird jetzt mehr Wert auf die Rechte der einzelnen Ehepartner gelegt. Beide Ehepartner sind in erster Linie voneinander unabhängige Individuen, erst nachrangig ein Ehepaar. Die Rechte des Einzelnen sind von der Ehebeziehung ausgenommen. Das mag hart klingen, für manche Menschen mag es sogar gegen die allgemeine Ordnung und die Tradition verstoßen, aber es sichert und festigt die Rechte. (…) Für diejenigen, die die Ehe in erster Linie romantisch betrachten, mag es unakzeptabel erscheinen, die Rechte beider Ehepartner gesetzlich abzustecken. Aber gerade das ist die wirkliche Bedeutung eines Ehegesetzes.

 

Netizen „Regenbogen“ dagegen kritisiert das neue Eherecht dahingehend, dass es die wichtige Rolle der Frau in Familie und Kindererziehung nicht berücksichtigt:

 

Die neuste Gesetzesänderung bietet nur oberflächlich mehr Schutz, ohne jegliche Verbindlichkeit. Hat vielleicht mal jemand an die immateriellen Aufwendungen der Frauen für Familie und Kinder gedacht? Während der Mann sich um seine Karriere kümmert, hat die Frau hingegen ihre eigene Karriere aufgegeben und zahlt dafür stillschweigend ihren Preis. Der Mann (besonders der verantwortungslose) hat Erfolg, hält sich eine Geliebte. Dann lässt er seine Frau, die für ihn ihre Jugend und ihre Träume geopfert hat, sitzen. Wer schützt denn davor? Wenn man mich fragt, wurde dieses Gesetz von Menschen ohne Verantwortung formuliert, die auch noch ihren Kopf ausgeschaltet haben. Haben sie auch nur einen Gedanken an die nicht-materiellen Aufwendungen der Frau verschwendet? Die Tendenz des Gesetzes geht dahin, (als Frau) wie ein Mann zu kämpfen, ohne Familie und Kinder. Man sollte ungezwungen seine eigene Karriere verfolgen. So hat man mehr Sicherheit und lebt den Sinn des eigenen Lebens.最新的法律保护的只是表面的,却没有约束性,有没有考虑到女人为了家庭和孩子的无形付出啊,男人在忙自己事业的时候,女人却放弃了自己的事业与追求默默付出,男人成功了(尤其是些不负责任的人),有了别的女人,抛弃了牺牲自己青春与梦想的女人,谁来保护?我看制定本法的人就是一些缺乏思维的不负责任的人。 女人的无形付出有多少考虑过吗?依照本法的趋势还是像男人一样去奋斗吧,不要小孩与家庭,潇洒的为自己的事业奋斗啊,这样更有保障啊,活出自己人生的意义.

 

Yu Ge sieht im Gegenteil die Interessen der Familie des Mannes durch die vorher herrschende Gesetzeslage nicht gewahrt und bewertet die Neuerung positiv.

 

Glaubt man den Medien, so wird die Neufassung des Gesetzes unter anderem die Ansichten der Chinesen zum Wert der Ehe, die Vorstellungen der Frauen bei der Partnerwahl und ihre Einstellungen zum Kinderkriegen verändern. Ich halte das für keine schlechte Sache. (…) Sind diese Veränderungen denn tatsächlich negativ? Die Forderung der Mütter der Frauen, der zukünftige Ehemann müsse eine Wohnung besitzen, ist tatsächlich ein ziemlicher Unsinn. Augenscheinlich wirkt es wie das Verfechten der Interessen der Frauen, aber tatsächlich bringt es die Frauen nur in die Rolle der Unterlegenen. Beide Ehepartner sollten hingegen gleichberechtigt sein. Die Eltern des Ehemanns rackern sich ihr halbes Leben lang ab, um ihrem Sohn eine Wohnung zu kaufen. Wenn sie ihm die Wohnung nach der Hochzeit schenken, gilt sie als gemeinsames Eigentum beider Ehepartner. Die Ehefrau hat dann das Recht, im Scheidungsfall die Hälfte der Wohnung zu behalten. Das ist dem Mann und seinen Eltern gegenüber doch wohl alles andere als fair. In diesem Sinne kann die Neufassung des Ehegesetzes die zuvor vorherrschenden falschen Ansichten über die Ehe wieder gerade rücken.

 

Das neue chinesische Scheidungsrecht sorgt für Gleichberechtigung

 

Auch Wang Lin, Professor für Jura, betrachtet das Ehegesetz als relativ fair und prangert eher die gesellschaftlichen Umstände an:

 

Diejenigen, die meinen die Neuregelung schützt den Standpunkt der Männer, machen sich der Geschlechterdiskriminierung schuldig. Sie schützt die Rechte des Individuums, egal ob Mann oder Frau. Schließlich gibt es auch Eltern, die ihrer Tochter eine Wohnung kaufen. Man hört oft die Meinung, es komme nicht oft vor, dass Töchter eine Wohnung geschenkt bekämen. Das sei nicht normal. Tatsächlich ist aber die Tatsache, dass die Eltern den Kindern eine Wohnung kaufen, selbst nicht normal, sondern ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem. Dieses Problem wurde weder durch das Ehegesetz geschaffen, noch kann es dadurch gelöst werden.

 

Er führt auch an, dass das Eherecht tatsächlich nicht die Ehe neu regelt, sondern lediglich die Situation nach der Scheidung:

 

Es wurde der Vorwurf laut, die Frauen würden durch das Gesetz benachteiligt. Tatsächlich werden sie aber nur im Scheidungsfall „benachteiligt“. Und auch das nur, wenn kein Ehevertrag besteht.

 

Yu Ge äußert die Vermutung, dass die einzige Veränderung in den Ansichten der Frauen bei der Partnerwahl, die das neue Ehegesetz herbeiführen wird, die folgende sei:

 

Viele Frauen legen jetzt nicht nur Wert darauf, dass ihr zukünftiger Mann eine Wohnung hat, sondern dass, egal wer die Wohnung gekauft hat, ihr Name auch auf der Eigentumsurkunde auftaucht. Somit ist der auf der Eigentumsurkunde eingetragene „Besitzer“ wichtiger geworden als die Wohnung an sich.

 

Yu Ge scheint mit seiner Vermutung recht zubehalten: In China findet aktuell ein regelrechter Ansturm auf die Meldestellen für Wohneigentum statt.

 

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Zum Weiterlesen:

Englisch: New marriage law sparks debate in China, in Asian Correspondent

 

Bild: Image: vichie81 / FreeDigitalPhotos.net

 

 

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