Gotteshaus oder Propagandawerkzeug? – Debatte um den Yasukuni-Schrein

Gotteshaus oder Propagandawerkzeug? – Debatte um den Yasukuni-Schrein

Jahr für Jahr besuchen japanische Politiker den Yasukuni-Schrein, um den japanischen Kriegsgefallenen zu gedenken und sorgen damit immer wieder für bilaterale Spannungen mit China © Wikimedia Commons

Jedes Jahr, pünktlich zum 15. August erregt ein geschichtliches Ereignis die Gemüter der chinesischen Netizens: Der Jahrestag der japanischen Kapitulation. Für die Chinesen ist es der Tag des Sieges ihres Befreiungskampfes gegen die japanischen Invasoren. Für die Japaner hingegen handelt es sich um einen Erinnerungstag, an dem viele zum Yasukuni-Schrein pilgern, um japanischen Kriegsgefallenen Ehre zu erweisen.

 

Der 1869 zu Ehren der japanischen Kriegsgefallenen errichtete Schrein beherbergt unter anderem die Seelen von mehr als tausend verurteilter Kriegsverbrecher, darunter Mitglieder der berüchtigten Einheit 731, die im zweiten Weltkrieg in der Mandschurei Menschenversuche an Kriegsgefangenen durchführte. Die regelmäßigen Besuche japanischer Politiker, deren Angehörige zum Teil im Schrein als „Kami“ verehrt werden, lösen immer wieder Kritik im In- und Ausland aus. Chinesische Netizens diskutieren über die Hintergründe der Schreinbesuche und Lehren, die China daraus ziehen kann.

 

Propaganda für Wählerstimmen

 

Cheng Helin, Host der Sendung „Shishi Bianlun Hui时事辩论会“ des chinesischen Senders Phoenix TV sieht die Besuche hochrangiger japanischer Politiker als reine Propaganda und zieht einen Vergleich mit einem Besuch Angela Merkels im Konzentrationslager Dachau.

 

Der Besuch Angela Merkels in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau wurde als politische Propaganda verschrien, die Besuche der japanischen Politiker des Yasukuni-Schreins ebenso. Ein Punkt aber unterscheidet die Deutschen von den Japanern. Die Deutschen müssen die Verbrechen der Nazis verurteilen, um Wähler zu gewinnen, während die Japaner mit demselben Ziel ihren Militarismus beschönigen müssen. Das ist nicht einfach nur ein Problem zweier Personen, es handelt sich hier um eine Frage des gesamten Werteverständnisses der beiden Völker.德国总理默克尔在达豪纳粹集中营旧址致祭,被指政治作秀;日本政客参拜靖国神社,也被指政治作秀。德日民族的差异是:德国政客必须批判纳粹主义才能赢得选民,日本政客必须美化军国主义才能赢得选民。这不是一两个人的问题,是整个民族的价值观问题。

 

Erinnern für eine bessere Zukunft

 

Der in Japan lebende Netizen „Nachkomme des Königreichs von Yue“ verurteilt die Schreinbesuche, warnt die Japaner vor den Folgen einer Politik des Vergessens und Verleugnens und appelliert an sie, sich an der deutschen Haltung ein Beispiel zu nehmen.

 

Ich stelle mich gegen den Schrein, weil dort an Massakern beteiligte, menschenverachtende Ungeheuer verehrt werden. Auch wenn es nur eure Vorfahren waren, die diese Verbrechen begangen haben, so müsst auch ihr die Verantwortung dafür tragen, ganz wie die Deutschen auch ihrer Verantwortung nicht ausgewichen sind. Ansonsten wird euer Land immer weiter Nachkommen heranziehen, die nicht in der Lage sind, das Wahre vom Unwahren zu unterscheiden. Habt ihr verstanden?反对是因为那里供奉着有屠杀人类的反人类的操蛋。哪怕你日本人自己的祖先,做了这么屠杀无辜人类的事,都同样得唾弃,就像德国对自己的祖辈追究责任一样。否则,这个国家培养出来的永远是是非不清的后代。懂么?

 

Täter kann man nicht verehren

 

Auch Kuang Shuchu macht kein Geheimnis aus seiner Verachtung für den Schrein und findet klare Worte.

 

Ein Soldat, der in anderen Ländern Menschen ermordet, darf vom Premier eines Landes noch verehrt werden? Was für eine Logik ist das denn? Einfach nur idiotisch!一个到别的国家去杀人的军人,国家元首还需要去参拜?这是什么逻辑?????????????白痴观点!!!!

 

Politik ist ein Spiegel der Gesellschaft

 

Liu Yadong, Vize-Chefredakteur der Partei-nahen Tageszeitung Science and Technology Daily kritisiert nicht nur die Besuche an sich, sondern einen für ihn imminenten Rechtsschwenk in der japanischen Bevölkerung.

 

Japan ist ein demokratisches Land. In einem solchen Land hat alles Verhalten und jedes Wort der Politiker nur das Ziel, die Stimmen der Wähler zu gewinnen. Mit anderen Worten, das Verhalten und die Aussagen eines Politikers sind immer auch ein Symbol für die politischen Wünsche der Bevölkerung. Hohe japanische Funktionäre beschimpfen China unverhohlen als „Zhina“* und trappeln in riesigen Gruppen zum Yasukuni-Schrein. Wollt ihr mir wirklich erzählen, dass die Bevölkerung nicht hinter diesen Aktionen steht? Man kann also den Rechtsschwenk der japanischen Politik nicht allein den Politikern in die Schuhe schieben!日本是个民主国家,在这样的国家中政治人物一言一行注定以讨好选民获取选票为目的。换句话说,政治人物的言行也是该国民众意愿的风向标。日本高官公然称中国为支那,大批日本官员参拜靖国神社,你敢说这背后没有大量民意支持?所以不能把日本右倾化简单归因于几个政客!

 

Auch China sollte seine Märtyrer ehren

 

Netizen „Ata Sun“ aus Shenzhen hingegen erkennt im Yasukuni-Schrein ein Vorbild für die Märtyrerverehrung in China.

 

In Japan ist es selbstverständlich, dass der Premier den Gefallenen seine Ehre erweist. Wie sieht es im Vergleich bei uns aus? Wo ist der Ort, an dem die Gefallenen des anti-japanischen Befreiungskrieges verehrt werden?阿踏sun:对于日本国内来说,首相当然应该祭拜阵亡士兵。再看看我国,抗日阵亡士兵的纪念场所在哪里呢?

 

Schreinbesuche ja, Politik nein

 

Auch für „blw913“ aus Shanghai haben die Schreinbesuche prinzipiell nichts Verwerfliches, er kritisiert allerdings deren zunehmende Politisierung.

 

Ganz gleich, was für einen Charakter ein Krieg aufweist, die Gefallenen haben sich alle für das Wohl ihres Landes geopfert! Von diesem Standpunkt aus betrachtet darf ihr Land sie nicht vergessen. Die Geschichte als Ausrede zu nehmen, um die Toten in verschiedene Klassen einzuteilen ist hingegen ein ganz übles, dummes Spiel für Politiker!不管战争是何性质,阵亡将士都是为国家利益捐躯,从这个角度讲国家就不能遗忘他们。用历史作为借口对亡人做分类只是无耻政客的把戏

 

 

 

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* Bei dem Begriff „Zhina“ handelt es sich um ein ehemals wertungsneutrales Wort, das durch die häufige Verwendung durch die japanischen Besatzer im Zweiten Weltkrieg einen negativen Beiklang bekam und heute als Schimpfwort wahrgenommen wird.

 

 

 

Zum Weiterlesen

 

Tobias Adam: „Wahlen in Japan – Shinzo Abe erhält zweite Chance“, Stimmen aus China, 07.01.2013.

 

Florian Jung: „Der Streit um die Diaoyu-Inseln – anti-japanische Proteste in China“, Stimmen aus China, 30.09.2012.

 

Berthold Seewald: „Japans Kriegsgedenken provoziert China“, Die Welt, 15.08.2013.

 

Peter Sturm: „Falsche Signale“, Frankfurter Allgemeine, 16.08.2013.

 

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