Reproduktion ist ein Menschenrecht – so argumentierte im Sommer 2012 eine Gruppe von chinesischen Intellektuellen und Wissenschaftlern in einem Brief an den Nationalen Volkskongress, in welchem sie die Änderung der Ein-Kind-Politik forderten. Auch online gibt es eine Diskussion zur Reform der Ein-Kind-Politik, diese dreht sich allerdings weniger um die Ethik als um die Praxis der Familienpolitik.
Ende der 1970er eingeführt sollte die Geburtenplanungspolitik dem explosiven Bevölkerungswachstum nach der Gründung der Volksrepublik in Jahre 1949 und den damit einhergehenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Problemen beikommen. Gemäß offiziellen Schätzungen bewirkte die Politik zwischen 1979 und 2011 400 Millionen weniger Geburten.
Doch die Ein-Kind-Politik bringt zahlreiche Probleme mit sich. So drohen hohe Strafen bei ihrer Nichteinhaltung, was häufig dadurch umgangen wird, dass zusätzliche Kinder nicht registriert werden. Dies wiederum führt dazu, dass diese Kinder nicht in die Schule gehen können und ihr Leben lang kaum Rechte besitzen.
Resultat der Familienplanung ist außerdem eine hohe Rate von Abtreibungen weiblicher Föten, was nicht nur eine moralische Frage über den Wert von Mädchen in einer patriarchalisch strukturierten Familienstruktur aufwirft, sondern auch besonders in ländlichen Gebieten zu Frauenmangel geführt hat.
Überdies sieht sich China in den nächsten Jahrzehnten mit einem enormen Defizit an Arbeitskräften konfrontiert, was dazu führt, dass sich die heutige Gesellschaft damit auseinandersetzen muss, wer die alternde Eltern- und Großelterngeneration der heutigen Einzelkinder ernähren und pflegen soll.
Kein Wirtschaftswachstum ohne Ein-Kind-Politik? – Pragmatismus unter chinesischen Bloggern
Allen voran war eine der wichtigsten Rechtfertigungen für die Einführung der Ein-Kind-Politik die mutmaßliche Behinderung eines erfolgreichen Wirtschaftswachstums durch eine zu große Bevölkerung. Blogger „lr2969319“ lässt das für die heutige Zeit nicht mehr gelten.
Die meisten sehen ja nur, welch zerstörerischen Einfluss eine hohe Geburtenrate hat und missachten dabei eine Tatsache: In einigen asiatischen Ländern und Regionen, in denen die Bevölkerungsdichte höher ist als in China, darunter Korea, Japan und Taiwan, sind die Geburten nicht eingeschränkt. Trotzdem sind sie aus tiefster Armut in eine schnelle wirtschaftliche Entwicklung übergegangen.人们只看到了高生育率将产生的有害影响,而忽视了一个事实:在一些比中国人口密度更大的亚洲国家和地区,包括韩国、日本、台湾,他们没有限制生育,但已经从高度贫穷进入了快速的经济发展。
Anpassung statt Abschaffung – eine neue Geburtenpolitik in China?
Wenige Kommentatoren plädieren für die vollständige Abschaffung der Ein-Kind-Politik. Vielmehr sehen sie Bedarf für eine Reform, die sich den aktuellen Gegebenheiten der chinesischen Gesellschaft anpasst. Netizen „Zweiter Yu-Bruder“ argumentiert:
Die der Ein-Kind-Politik unterliegenden, politischen Strategien, von einer Kontrolle über ein geregeltes Bevölkerungswachstum bis hin zur nachhaltigen Entwicklung von Chinas Minderheiten, sind völlig notwendig. Deswegen sollte diese Politik auch weiterhin umgesetzt werden. Was Diskussionen über die Ein-Kind-Politik angerregt hat, ist lediglich ihr Missbrauch. In Realität ist es nach und nach offensichtlich geworden, dass wenn das einzige Kinde stirbt Paare im höheren Alter keine Kinder mehr bekommen können. Das kann eine Familie zerstören.
Man kann dieses gesellschaftliche Problem nicht runterspielen. (…) Mit zunehmender Häufigkeit kann dieses Problem die Vitalität und Grundlagen unseres Volkes vernichten. Des Weiteren führen die Einzelkinder zu einer Pyramidenbildung in Bevölkerung und Familien, was zu einer Erschöpfung unserer Arbeitskräfte führt und zum Nachteil für die nachhaltige Entwicklung und den Wettbewerb unseres Volkes wird.毫无疑问,国家实行计划生育的基本国策,从控制人口持续有序增长,对国家民族持续发展是完全有必要的,而且这一政策也应当继续执行下去。只是独生子女政策有待商榷。一对夫妇只生一胎的弊端,在现实生活中已逐渐凸显出来,一旦独生子女出了意外身亡,如果夫妇双方年龄大无法再生育,一个家庭就被毁了。这不能不说是一个很严重的社会问题,(...) 当这一问题出现较多较普遍的时候,就会毁了国家民族的生机和根基。另外,独生子女必然带来人口家庭呈倒金字塔的形态,国家劳动力出现衰竭,对国家民族的持续发展和竞争也是非常不利的。
Blogger „Ein Mann des Huai He Flusses“ argumentiert gegen einen ethischen Konflikt durch die Geburtenplanung:
Die Geburtenplanung soll die Bevölkerung davon abhalten viele Kinder zu bekommen und ist nicht dazu da, den Menschen ihr Recht aufs Kinderbekommen zu nehmen. Und es hat schon gar nichts mit der Ausnutzung von öffentlicher Macht für persönlichen Nutzen zu tun. Das Gesetz tritt dafür ein, dass Paare nur ein Kind bekommen, und verbietet nicht zwei Kinder zu gebären.计划生育政策是不鼓励人民多生育,不等于剥夺人民生育权利,更不等于利用公权利以权谋私。国家法律是提倡一对夫妻只生育一个孩子,没有说禁止生育两个孩子。
Schon heute gibt es viele Ausnahmen bei der chinesischen Ein-Kind-Politik
Tatsächlich gibt es schon jetzt eine Reihe von Ausnahmen. Demnach können Familien auf dem Land per Antrag mehr als ein Kind bekommen, wenn das erste ein Mädchen ist. Besondere Regeln gelten außerdem für Minderheiten, Familien mit behinderten Kindern und Eltern ohne Geschwister.
Da in Großstädten wie Beijing oder Shanghai die Geburtenrate mittlerweile auf einem Rekordtief angelangt ist und bei unter einem Kind pro Frau liegt, wird auch dort seit wenigen Jahren die Geburt von zwei Kindern gefördert. Auf dieser Grundlage argumentiert auch Blogger „Zerbrochene Sprache von Angkor“.
Unsere Ein-Kind-Politik kann und sollte man völlig umstrukturieren. Erstens betrifft die Familienplanung politisch und juristisch gesehen im Moment nur die Angestellten von Partei und Regierungsorganisationen sowie staatlichen Unternehmen. Auf Freiberufler und eine große Mehrzahl der Wanderarbeiter vom Land lässt sich kaum Kontrolle ausüben. Auch den ‚Privilegierten‘ ist es heutzutage möglich die Ein-Kind-Politik zu umgehen. (…) Und dann gibt es noch welche, die ihr Kind im Ausland auf die Welt bringen, wodurch das Kind eine andere Nationalität hat, wenn sie es wieder mit nach Hause nehmen.我们的独生子女政策是完全可以调整的,而且也是应该调整的。一、目前我国计划生育的现状是,政策和法律只管住了党政机关、国有企事业单位的工作人员。对自由职业者、广大的农村流动人口却基本上缺乏有力的控制。甚至,目前出现国字号单位部分'特权'人士也能成功避开独生子女政策。(...) 还有一些就是利用出国访问的机会,生一个外国国籍的小孩带回国内来养(...)。
Eine Lockerung der Ein-Kind-Politik bedeutet nicht gleich mehr Kinder
Blogger „Kleiner Berg“ argumentiert schließlich, dass sich mit einer Änderung der Planungspolitik wenig an der Geburtenrate in China ändern wird, da die meisten Chinesen heutzutage sowieso weniger Kinder wollten.
Eine Mehrzahl der heutigen sogenannten Bevölkerungsexperten geht davon aus, dass die Kinderwünsche der Chinesen unveränderlich sind. Sie meinen, dass die Geburtenrate mit der Lockerung der Familienplanung sofort in die Höhe schießen wird. Diese Statistiken bilden wiederum die Basis für die Bevölkerungspolitik in wichtigen Regierungsabteilungen. Tatsächlich haben sich in den letzten Jahren die Kinderwünsche der Bevölkerung grundlegend verändert. Besonders junge Menschen, die zum Arbeiten in die Städte ziehen und ständig dem Druck ausgesetzt sind eine Arbeit zu finden und ihr Leben zu meistern, heiraten später und bringen weniger Kinder zur Welt.当今大多数所谓的人口专家,都是在假设中国人的生育愿望不变,他们认为今后一放宽计划生育,生育率就会马上上升,而这些数据又是高层决策部门制定人口政策的依据。事实上近年来,人民的生育愿望已经发生了根本的变化,尤其是那些进城务工的青年农民,他们迫于就业、生活压力,晚婚晚育还少生.
Zum Weiterlesen
Kolonko, Petra: „Ein Menschenrecht auf Fortpflanzung?“ FAZ, 29.08.2012
Wong, Edward: „Reports of Forced Abortions Fuel Push to End Chinese Law“, New York Times, 22.07.2012.
Rosenberg, Matt: „China’s One Child Policy: One Child Policy in China Designed to Limit Population Growth”, About.com, 12.08.2012