„Die Verurteilung von Liu Xiaobo sollte ein Exempel statuieren“

Für die Februarausgabe der Kategorie „Stimmen aus Deutschland“ interviewte Viviane L. Fluck, Frank Andreß, Sinologiestudent und Redakteur der sinologieschen Studentenzeitung „DianMo“ in Leipzig. Themen waren dabei Googles Rückzug aus China und Restriktionen gegen Chinesische Blogger.

SAC: Stell dir vor, du wärst ein Chinesischer Regierungsbeamter und würdest eine Pressekonferenz bezüglich der Verurteilung von Liu Xiaobo halten. Was wäre dein Statement gegenüber den Journalisten?

Frank Andreß: Ich würde nicht um den heißen Brei herumreden und sagen, dass wir ein autoritäres System sind und das wir natürlich gegen solche Tendenzen in der Bevölkerung vorgehen müssen, denn immerhin gab es nicht wenige Reaktionen auf seine Charta. China muss sich gegenwärtig vor allem nach innen weiter konsolidieren, moralisch wie national. In diesem Sinne sind Liu Xiaobos Ziele und Aktionen nicht mit denen des chinesischen Volkes vereinbar. Seine Ideen führen nur zu Zersetzung und Differenzierung und genau diese Tendenzen muss China vermeiden, um in Zukunft weiter zu wachsen und sich zu entwickeln, um letztendlich den Status eines Entwicklungslandes zu überwinden.

Wie sieht deine eigene Meinung im Vergleich zu diesem Gedankenspiel aus?

Der Partei geht es um Macht, um ihren eigenen Machterhalt. Die Verurteilung von Liu Xiaobo sollte in erster Linie ein Exempel statuieren, um andere chinesische Aktivisten zu warnen. Auch eine kleine Warnung ans Ausland, mit der Unterstützung solcher Aktivisten vorsichtig zu sein. Vorher lief doch so etwas nie so öffentlich ab, da wusste niemand wann und wo jemand verurteilt wurde. Auf der anderen Seite war er ja „nur“ ein Internetaktivist. Mich erinnert das an den Fall der „Edelstahlmaus“, einer jungen Internetaktivistin die von heute auf morgen verschwunden ist. Seitdem sie irgendwann mal wieder aufgetaucht ist, steht sie unter Hausarrest bzw. ist bei Ausgang in ständiger Begleitung.

Die westlichen Medien malen gern ein falsches Bild. Natürlich wird in China über alles Mögliche diskutiert, auch über eine Demokratisierung der Gesellschaft, über alternative Ideen, die Partei wird kritisiert usw. Leider sind das keine öffentlichen Debatten, denn sobald es droht eine zu werden, schlägt die Partei zu. Ich würde mir wünschen, dass die Regierung in Zukunft etwas lockerer mit solchen alternativen Konzepten umgeht, anstatt mit rigider Zensur zu antworten. Die Idee der Demokratisierung zu diskutieren muss nicht gleichbedeutend mit politischem Umsturz sein. Letztendlich würde die Regierung durch die Annahme einer solchen politischen Herausforderung nur zeigen, dass sie diese annehmen und souverän damit umgehen kann. Bei den virtuellen Partizipationsmöglichkeiten, mit denen man Internetzensur und –kontrollen zu umgehen vermag, wird ihnen im 21. Jh. auch nichts anderes übrigbleiben.

Was hältst davon, das westliche Internetunternehmen, wie Google und Yahoo, sich in China dazu verpflichten müssen die Gesetze der VR China einzuhalten (dies beinhaltet unter anderem dass beispielsweise von der Chinesischen Google- Suchmaschine nur gefilterte Suchergebnisse angezeigt werden) um in China arbeiten zu dürfen?

Google erniedrigt sich doch selbst, das Unternehmen beugt sich doch dem Axiom der Umsatzmaximierung, indem es nicht auf den chinesischen Internetmarkt verzichten möchte. Die KPCh tut das, was sie immer tut. Es macht kein Sinn, den westlichen Suchmaschinen andere Rechte einzuräumen als chinesischen Suchmaschinen. Man muss auch sagen, dass bei Google immer noch mehr Infos kamen, als z.B. bei Baidu. Auf der anderen Seite, was macht den Google im „Westen“? Die spionieren die User ja auch aus, um Profile zu erstellen. Sicherlich verfolgen sie dabei nicht die gleichen Ziele wie die KPCh, aber die Methoden sind doch die selben.

Was ist deine Meinung dazu, dass einige Dissidenten auf Grund der Zusammenarbeit von Yahoo mit der chinesischen Regierung verhaftet und verurteilt worden sind?

Traurig, das meine ich nicht ironisch.

Google denkt, trotz eventuellem Verlust eines großen Zukunftsmarkts, über einen Rückzug aus China nach, da sie „die Zensurauflagen in der Volksrepublik“ nicht weiter akzeptieren könnten. Allerdings hat Google auch nur einen sehr geringen Marktanteil in China. Was hältst du davon und denkst du, dass andere Internationale Konzerne diesem Beispiel folgen sollten?

Für mich ist bis jetzt noch nicht 100% klar, warum Google öffentlich und so entschieden gedroht hat. Ich glaube nicht, dass sie die Zensurauflagen plötzlich nicht mehr akzeptieren können. Ich denke, da stehen noch andere Gründe dahinter. Aber was das genau ist, keine Ahnung. So ein Konzern interessiert sich doch nicht von heute auf morgen für Menschenrechte. Ich denke, da stehen vielleicht Interessenkonflikte dahinter, vielleicht auch Datenklau usw. oder auch die wachsende Konkurrenz durch chinesische Unternehmen. Denn die Zensur trägt auch dazu bei, dass Kaixinwang (statt Facebook), Tudou und Youku (statt Youtube) und Baidu (statt vielleicht bald Google) immer mehr wachsen. Das ergänzt sich natürlich gut zur virtuellen Kontrolle der Partei.

Frank Andreß mag an China:

diese chinesische Toleranz; vielleicht sollte man es so beschreiben, dass die Leute einfach eine Seelenruhe im Alltag weg haben. Ich meine, z.B. der Bus ist voll und an der nächsten Haltestelle wird er noch voller und enger, die Leute unterhalten sich kreuz und quer durch den Bus und niemanden stört es.

Oder auf einer 10-stündigen Zugreise. Es gibt keinen Platz mehr, es ist unglaublich voll. Beim nächsten Halt drängen noch ein paar Wanderarbeiter in den Zug hinein. Es ist absolut kein Platz mehr und trotzdem drängelt sich auch noch der Essenswagen durch die Menge. Und niemanden stört es, niemand beschwert sich, niemand schreit. Also, die Leute haben die Ruhe weg. Wie Wasser, alles ist immer im fließendem Zustand, so z.B. auch der Verkehr. Gibt es ein Hindernis auf der Straße, fährt man eben herum und regt sich weder auf, noch hupt man affig dabei. Das gefällt mir oft sehr, dieser unkomplizierte Umgang mit den Dingen! Sicher nicht immer!

Ich meine, letztendlich sind die Dinge, die man an China mag oder nicht mag, mehr oder weniger Ergebnisse eines wertenden Spiegelns der eigenen Kultur im Bild des Fremden, die einem negativ aufstoßen bzw. von denen man überzeugt ist.“

Mag nicht an China:

„diesen manchmal vagen Begriff von Freundschaft, bei dem man das Gefühl hat, dass man ausgenutzt wird. Und eine gewisse chabuduo-Mentalität – Was wir ja in Deutschland nicht so mögen! (差不多 chabuduo= passt schon)“

Kategorien: Deutschland. Permalink.

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Eine Antwort zu „Die Verurteilung von Liu Xiaobo sollte ein Exempel statuieren“

  1. avatar Frank Andreß sagt:

    Liebe Leser,

    ich habe mich in den letzten Monaten und Wochen mit Liu Xiaobos Schriften, Gedanken und Wirken beschäftigt, so dass ich vielmals darum bitte, meine in diesem Interview gemachten Aussagen zu ihm und seiner Verurteilung nicht zu beachten. Diese resultierten damals vor allem aus fehlendem Wissen um ihn und seine Geschichte.

    Frank Andreß
    Leipzig, 29. Dez. 2010

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